Kardinalspoker
einen Termin bei der Staatsanwaltschaft.«
»Was ist mit ihm?«
»Was mit ihm ist, weiß ich nicht.
Er soll heute zu einer Vernehmung nach Köln gebracht werden, weil sich die Kölner
und die Aachener immer noch nicht einig sind. Ich selbst kann nicht mit nach Köln,
weil ich eine Verhandlung habe. Da muss ich noch dort Kollegen von mir in Gang setzen.«
»Welchen Eindruck hast du denn von
Lipperich?«
»Du stellst Fragen am frühen Morgen«,
stöhnte Grundler. »Der gibt sich alle Mühe, mir das Leben schwer zu machen. Ich
habe ihm gesagt, ich sei von seiner Unschuld überzeugt, aber er glaubt mir nicht.
Und ehrlich gesagt, so verstockt, wie er sich gibt, kann ich mir durchaus vorstellen,
dass er die drei abgemurkst hat. Ein Motiv ist auf jeden Fall vorhanden: Rache für
seine Brüder. Dann ist er außerdem voll und ganz auf den Vater fixiert, für den
er wohl durchs Feuer und durch die Hölle gehen würde. Er ist groß und stark und
hat im Knast garantiert die Spielregeln fürs Verbrecherleben lernen können. Da er
schon einmal einen Menschen getötet hat, fehlt ihm auch die Hemmschwelle. Und zu
allem Überfluss freut er sich darüber, dass die drei Kerle tot sind. Und dennoch
behauptet er, die Typen nicht gekillt zu haben.«
»Hat er auch nicht«, unterbrach
ihn Böhnke. »Ich glaube nicht, dass er als Täter in Betracht kommt.« Er berichtete
von seiner Begegnung mit Kardinals Frau. »Das gibt mir seitdem zu denken. Ich muss
doch annehmen, dass Adamczik an dem Mord beteiligt war, sonst hätte er mit seinem
Wissen am nächsten Tag nicht die Witwe aufsuchen können. Also, warum sollte Lipperich
den Adamczik laufen lassen, den er nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft auch
aus Rache umbringen wollte? Es wäre doch einfacher gewesen, beide auf einen Schlag
zu töten, als es bei einem Mord zu belassen und einen Mitwisser zu haben. Außerdem
hätte sich Adamczik doch von Lipperich ferngehalten, wenn er glauben musste, der
habe ihn im Visier.«
»Interessante Überlegung«, pflichtete
ihm Grundler bei. »Aber reine Theorie.«
»Nein, mein Freund, Logik«, wollte
Böhnke widersprechen.
»Eine Logik, mit der wir uns bei
der Staatsanwaltschaft noch nichts kaufen können, weil sie das Wissen nicht hat.
Aber sie hilft uns, die Geschichte unter einem anderen Aspekt zu betrachten.«
Böhnke blinzelte in die Sonne, die
für einige Augenblicke durchs Fenster in das Wohnzimmer schien. »Gibt es denn einen
Zusammenhang zwischen Lipperich und dem Inhalt der CD?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Grundler.
»Aber ich nehme an, die CD gibt dir genug Stoff, etwaige Hintermänner hinter den
Morden zu vermuten. Dann wird sich für dich nur noch eine Frage stellen: Wenn Lipperich
doch der Mörder sein sollte, von wem wurde er beauftragt?« Das müsse für den Moment
reichen, meinte er. Er müsse los, verabschiedete sich der Anwalt.
»Wir telefonieren«, sagte er floskelhaft.
›Bin ich etwa auf der Flucht?‹, fragte sich Böhnke. ›Ich lasse mich
doch nicht hetzen.‹ Außerdem war ihm die Technik des Laptops suspekt. Er schaffte
es einfach nicht, den Cursor mit den Fingern dorthin zu bugsieren, wohin er ihn
haben wollte. Immer, wenn er glaubte, den Dateinamen getroffen zu haben und er die
Anwendung starten wollte, rutschte der Cursor wieder an eine andere Stelle. ›Dann
muss die CD halt warten, bis Lieselotte kommt‹, entschied Böhnke für sich. ›Ich
breche mir doch nicht deswegen die Finger.‹ Er klappte den handlichen Rechner zu
und ließ sich in seinen häuslichen Alltag zurückfallen.
›Manchmal ist die Einzelhaft doch
schön‹, sagte er sich, als er endlich in aller Ruhe durch Huppenbroich schlenderte,
diesmal am Friedhof entlang in Richtung Buchenwald. Die Ruhe, das beruhigende Auf
und Ab der welligen Landschaft, das leichte Rauschen des Windes in den Blättern
der Bäume, wo gab es sonst noch diese Idylle? Es kam ihm vor, als würden ihm die
wiederkäuenden Kühe zur Begrüßung zunicken, als er an den Weiden vorbeischritt.
Nur noch wenige Tage, dann war ihr Aufenthalt in der Natur vorbei, verbrachten sie
die Zeit in den Ställen. Und auch der Hofhund auf dem Bauernhof am Ende des Dorfes
beendete sofort das wütende Kläffen und kam schwanzwedelnd auf ihn zugelaufen. Hier
war es schön, hier war es friedlich, hier würde er bleiben bis zu seinem Lebensende.
Der Tag hätte in aller Ruhe enden können, wenn da nicht das Telefonat
gewesen wäre, das alle Überlegungen über den Haufen
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