Kardinalspoker
warf.
»Lipperich ist abgehauen!«, brüllte
Grundler in den Hörer, aufgeregt, wütend, gar nicht mehr von seiner Selbstbeherrschung
geleitet.
Böhnke hatte, vor dem Fernseher
sitzend, die Tagesschau verfolgt, als ihn der Anwalt anrief.
»Ich bin eben von der Staatsanwaltschaft
informiert worden. Lipperich ist weg!«
Der pensionierte Kommissar ließ
sich nicht aus der Ruhe bringen. »Mal ganz langsam, mein Freund, und dann von vorne«,
sprach er langsam auf Grundler ein. »Selbst wenn du mir durchs Telefon das Ohr abbrüllst,
ändert sich nichts. Also, Tatsache ist, das Lipperich fliehen konnte. Warum, wieso,
weshalb?«
Er ließ Grundler berichten, stellte
gelegentlich Zwischenfragen und glaubte schließlich, das Geschehen zu kennen.
Wie beabsichtigt, hatte die Staatsanwaltschaft
Lipperich nach Köln überführen wollen. Weil kein Gefangenentransporter zur Verfügung
stand, wurde der Inhaftierte in ein Personenfahrzeug der Zivilfahndung verfrachtet.
Auf der Autobahn geriet der Pkw vor einer Baustelle an einer Fahrbahnverengung in
der Nähe der Ausfahrt Düren in einen Stau. Offenbar war Lipperich nicht ordnungsgemäß
angekettet worden oder man hatte das Schloss der Handschellen nicht richtig geschlossen.
Jedenfalls war der Verdächtige aus dem stehenden Fahrzeug gesprungen, über die Leitplanke
auf die Gegenfahrbahn gelangt und auf der anderen Seite der Autobahn in der Böschung
abgetaucht. Zwar hatten zwei Wachmänner sofort seine Verfolgung aufgenommen, aber
sie hatten den Flüchtenden nicht mehr entdeckt. Auch brachte eine sofort eingeleitete
Ringfahndung keinen Erfolg. Eine Hundestaffel und ein Hubschrauber konnten ebenfalls
keine Spur von Lipperich aufnehmen.
»Der ist spurlos verschwunden«,
endete Grundler. »Und du weißt, was das bedeutet?«
Es lag auf der Hand. Warum hätte
Lipperich flüchten sollen, wenn er unschuldig war? Seine Flucht war eindeutiges
Indiz dafür, dass er mit den Mordfällen zu tun hatte.
»Einfacher wird der Fall dadurch
nicht«, stöhnte Grundler.
›Nicht für dich‹, wollte Böhnke
erwidern. Er überlegte kurz, sich aus der Geschichte auszuklinken. Eigentlich hatte
er doch gar nichts damit zu tun. Doch er verwarf diesen Gedanken so schnell, wie
er gekommen war. Jetzt hatte er sich so lange darin getummelt, jetzt wollte er auch
wissen, wie die Sache ausging.
»Hast du eine Idee, wohin Lipperich
abgehauen sein könnte oder wo er sich versteckt?«, fragte Grundler.
»Nein«, antwortete Böhnke spontan.
Obwohl? Er überlegte. Unwahrscheinlich war wohl, dass Lipperich zu seinem Vater
nach Kornelimünster flüchten wollte. In Aachen wäre das Risiko, erwischt zu werden,
viel zu groß. Aber es gab eine Möglichkeit, einen durchaus infrage kommenden Fluchtort.
Warum hatte sich Lipperichs Vater in der ›Alten Post‹ nach Fremdenzimmern erkundigt?
24.
Er wurde aus dem Alten einfach nicht schlau. Als er sich bei ihm meldete,
schien der Typ angefressen, obwohl er keinen Grund dazu sah. Der Alte hatte ihn
davor gewarnt, sich in der Öffentlichkeit blicken zu lassen, und ihn dann aufgefordert,
sich am nächsten Tag erneut zu melden. Er hätte dann einen Auftrag für ihn.
So saß er im
Zug, der ihn nach Köln bringen sollte, ständig umherblickend, ob ihn jemand beobachtete.
Weisungsgemäß hatte er seinen Haaren einen Bürstenschnitt verpasst, sich gründlich
rasiert und mit Schlips und dunkelgrauem Anzug gekleidet. Es war gar nicht so einfach
gewesen, in wenigen Stunden die angeordnete Kleidung zu beschaffen. Aber er hatte
es vermocht, ohne übermäßig Aufmerksamkeit zu erregen. Er sah seriös aus, ganz so,
wie nach seiner Auffassung ein erfolgreicher Vertreter auszusehen hatte. In gewisser
Weise sollte er auch in Vertreterfunktion unterwegs sein und den Job von Kardinal
übernehmen, hatte ihm der Alte gesagt. Alle Informationen würde er in der Wohnung
in der Jakordenstraße bekommen.
Der Auftrag war klar umrissen. Er
erhielt eine Adressenliste aus der Provinz Limburg in den Niederlanden zwischen
dem Dreiländereck im Süden und Roermond im Norden. An den angegebenen Stellen sollte
er die Präservative aus dem Karton abliefern, den er in der Wohnung auf dem Küchentisch
neben dem Briefumschlag gefunden hatte. Im Gegenzug würde er von den Abnehmern Päckchen
erhalten, die er in der Jakordenstraße abzugeben hatte. Den Mietwagen würde er in
der Tiefgarage vorfinden, der passende Schlüssel lag neben der Liste in dem Umschlag.
Er war stolz, der Alte hatte
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