Karibik Träume... und zwei Leichen
wenn man mit jemandem Zeit verbringen muss , dem man eigentlich gar nichts zu sagen hat? Und Ali war natürlich nicht in der Stimmung großartig etwas zu unternehmen, geschweige denn sich auch nur mehr als fünf Sätze zu unterhalten. Nach unserem Gespräch am ersten Abend wurde sie wieder schweigsam und stand meistens am Fenster und starrte heraus. Aus einem Gefühl der Verantwortung und Höflichkeit heraus, ließ ich sie nicht viel oder lange allein. Und langsam aber sicher gingen mir die Ausreden aus, warum ich „mal eben“ weg musste, wenn mir das gegenseitige Anschweigen zu viel wurde. Heute noch und noch zwei Tage. Dann ging ihr Flieger. Ich würde drei Kreuze schlagen.
Der Tag war warm und sonnig. Im Allgemeinen verbindet man mit Beerdigungen Nieselregen und Kälte. Gestorben wird in Herbst und Winter. Frühling und Sommer stehen für Geburt und Leben. Nicht so in diesem Jahr.
Wir standen zeitig auf. Ali brauchte etwas länger, weil sie schlecht geschlafen hatte. Die ganze Nacht hatte sie sich von einer Seite auf die andere gewälzt. Neben der psychischen Anspannung war sie auch noch komplett aus ihrem normalen Rhythmus. Der Jet-Lag bei Reisen von West nach Ost ist schlimmer. Es dauert länger, bis man sich umgewöhnt. Nach jetzt drei Tagen Europa tickte Ali´s innere Uhr noch immer in der venezolanischen Zeitzone. Aus Rücksicht auf mich blieb sie liegen und wanderte nicht rastlos durch die Wohnung. Erst gegen vier Uhr fiel sie in einen unruhigen, viel zu kurzen Schlaf. Wir standen um sieben Uhr auf. Das heißt: ich. Ich ließ sie noch ein paar Minuten liegen und duschte zuerst. Ich rasierte mich und zog ein Paar schwarze Jeans und ein weißes Hemd an. Dann putzte ich einmal über meine Schuhe und legte Schlips und Jackett zurecht. Während sie sich duschte und fertig machte, kümmerte ich mich um das Frühstück. Hätte ich mir schenken können, den Tisch zu decken. Sie trank nur Kaffee. Kein Wunder, dass sie so dünn war. Aß wie ein Spatz. Während meiner Nachtischzigarette erzählte ich ihr so schonend wie möglich, dass Carla sie heute nicht sehen wollte und noch ehe sie anfangen konnte zu protestieren von meiner Entscheidung zu diesem Thema. Es war mir klar, dass ich in einer heiklen Lage war. Ich konnte Carla´s Wunsch verstehen und nicht gänzlich ignorieren. Auf der anderen Seite war Ali nicht gekommen, nur um auf meiner Couch die Zeit tot zu schlagen. Carla musste damit rechnen, dass Ali irgendwann an Thorsten´s Grab auftauchte. Und ich konnte sie weder festbinden noch einsperren. Außerdem wusste sie durch die Karte, auf welchem Friedhof Thorsten beerdigt werden sollte. Sie sprach zwar kein Deutsch. Aber sie konnte sicherlich jedem Taxifahrer klarmachen, wie der Ort hieß, zu dem er sie fahren sollte. Besser ich hatte sie in Maßen unter Aufsicht. Im Nachhinein muss ich sagen, dass schon eine gehörige Portion Vertrauen zu Ali nötig war, um das zu tun, was ich tat. Warum ich es hatte, weiß ich nicht. Da war er wieder: mein Glaube an das Gute im Menschen.
Ich erklärte ihr den Ablauf und wie ich mir das Ganze vorstellte. „Zuerst findet der Gottesdienst statt. Fängt um zehn Uhr an und dauert etwa eine Stunde. Die Kirche ist etwa zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt. Das heißt, dass ab elf Uhr zwanzig die ersten an der Leichenhalle eintreffen. … Dann findet eine kurze Andacht statt. Darauf folgt die eigentliche Beerdigung.“
Sie nickte stumm. Soweit verstanden.
Ich holte Luft. „Wir fahren vor der Kirche zum Friedhof. Also“, ich sah auf die Uhr, „jetzt gleich. Ich gehe mit dir zur Leichenhalle. Aber wir gehen getrennt! Du bleibst fünfzig Meter hinter mir. Wenn mich jemand sieht und anspricht, läufst du einfach an mir vorbei. Du siehst mich nicht an. Du kennst mich nicht. Du bist ein normaler Friedhofsbesucher.“
„Ok!“ Sie sprach leise.
Ich lächelte. “Wenn uns jemand zusammen sieht, ist der Teufel los.“
Sie lächelte zurück. Zwei Verschwörer.
„Ich lasse dich dort und komme später mit den anderen zurück. Ich weiß nicht, wo das Grab ist. Ich weiß also nicht, in welche Richtung wir nach der Andacht gehen. Halt dich im Hintergrund. Tu so, als ob du ein Grab pflegst, oder mach´ sonst was. Bei der Beerdigung will ich dich nicht sehen.“ Ich sah sie an. Wieder ein Häufchen Elend. Hätte ich sie in den Arm genommen, hätte sie geweint. Ich ließ es besser. Sie musste sich jetzt zusammennehmen. „Weiss Carla, wie du aussiehst?“
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