Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
folgte seinem Beispiel, ohne innezuhalten.
Im zweiten Stock des Hauses gab es drei Räume: ein Gästezimmer mit einem Doppelbett und einem Fenster, vor dem bunte Marimekko-Vorhänge angebracht waren; ein Büro mit einem schlichten Schreibtisch, zwei Flachbildmonitoren und einem teuren Bürostuhl; ein zweites Wohnzimmer, das wesentlich gemütlicher als das untere war, mit einem riesigen Flachbildfernseher und einer bequemen Couch. Die in diesem Wohnzimmer verstreuten Bücher, Puppen und Spielsachen legten den Schluss nahe, dass die Familie sich meistens hier aufgehalten hatte. Da nur ein einziger Kriminalbeamter diese Etage durchsuchte, musste der Krach, der meine Neugier geweckt hatte, von weiter oben kommen.
Je höher ich stieg, desto lauter wurde der Lärm. Auf dem oberen Treppenabsatz kam ich zunächst an einem Raum mit einem schmalen Bett vorbei, der nur Abby gehören konnte. Die Wände waren fliederfarben gestrichen, in den weißen Einbauregalen türmten sich Jugendbücher, und auf dem unaufgeräumten Schreibtisch standen ein weißer Laptop und ein Schmuckbaum mit mehreren Halsketten. Je weiter ich mich den Flur hinunterwagte, desto stärker wurde meine innere Unruhe. Ich kam an ein paar geschlossenen Türen vorbei, ehe ich das Zimmer am anderen Ende erreichte.
Im Elternschlafzimmer hatten sich Ermittlungsbeamte um das riesige Bett geschart. Der Raum war in einem Aprikosenton gestrichen und mit zwei Kommoden gleicher Bauart und einem Flachbildfernseher ausgestattet, der an der Wand gegenüber dem Bett hing. In der fahlen Wintersonne wirkte das Zimmer nahezu kärglich. Die Wand über dem Kopfende des Bettes wies kurioserweise ein apart anmutendes Muster aus Blutspritzern auf, das mich an die einzige Sternschnuppe erinnerte, die ich je gesehen hatte. Ich richtete den Blick auf das Bett und versuchte, trotz der anwesenden Ermittler etwas zu sehen.
Vom Türrahmen aus konnte ich nur ein Paar nackte, schmale und wächsern wirkende Füße erkennen. Die Fußnägel der Frau waren in demselben Blau wie Abbys Fingernägel lackiert. Sofern mich nicht alles täuschte, hatten sich Mutter und Tochter erst vor kurzem eine Maniküre und Pediküre gegönnt. Unwillkürlich musste ich an meine vor sechs Jahren ermordete Tochter denken, die ebenfalls im Bett zu Tode gekommen war. Bei der Erinnerung daran schnürte es mir den Magen zu. Als sich einer der Polizisten bewegte, erhaschte ich einen Blick auf Martas Gesicht – oder auf das, was von ihm übrig geblieben war – und rang nach Luft. Genau in dem Moment trennte sich ein Mitarbeiter der Spurensicherung von seinen Kollegen, drehte den Kopf und entdeckte mich. Er hatte am Kopfende des Bettes gestanden, seine Latexhandschuhe waren blutverschmiert.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Ich hatte meine Nüchternheit und professionelle Wesensart verloren, sodass er in mir eine Außenseiterin sah, die mit polizeilicher Ermittlungsarbeit nichts zu tun hatte.
Ich räusperte mich und bemühte mich um Haltung. »Wie lange ist sie schon tot?«
»Sind Sie Journalistin?«
Auf einmal wandten sich alle um und musterten mich mit schroffen Mienen.
»Nein«, versicherte ich. »Ich bin eine Nachbarin.«
»Schafft sie hier raus!«, befahl er, woraufhin mich ein uniformierter Beamter nach unten eskortierte.
Während ich zum Eingang gebracht wurde, kam Billy aus der Küchentür. Aus Sorge vor einem weiteren Flashback warf ich ihm einen warnenden Blick zu.
»Ich kümmere mich um sie«, sagte Billy vollkommen ruhig zu dem Polizisten, doch kaum war dieser verschwunden, schlug er einen anderen Ton an. »Warum bist du noch hier, Karin?«
»Geht’s dir gut?«
»Ja.«
»Warst du oben?«
»Bisher noch nicht.«
»Dann lass es lieber bleiben.« Es stand zu befürchten, dass Marta Dekkers Anblick ihn aus der Bahn werfen würde. Wie Billy war den beiden Dekkers ins Gesicht geschossen worden, nur dass sie es nicht überlebt hatten. Wie sollte sich Billy da nicht an damals erinnern?
In dem Augenblick verließ La-a die Küche und nahm von mir Notiz. »Bist du neuerdings ein TatortGroupie, Karin?«
»Bin nur zufällig mit Billy die Straße hinuntergegangen.«
»Muss ich deinem Mann jetzt stecken, dass du und Billy was am Laufen habt?« Sie stemmte die Hände in die Seiten und legte den Kopf schräg. Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich meinte, sie zwinkern zu sehen.
»Wie war das Krippenspiel deiner Tochter?«
»Kurz und nett.«
Billy legte die Hand auf meinen Arm und dirigierte mich weg. »Karin
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