Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
Äußeren – Röhrenjeans, Wildlederstiefel, kurze Lederjacke, schwarzer Kinnbart, rot getönte Brillengläser, Glatze und modisches Käppi – nicht wie ein Ermittler auf mich. Er griff in den Wagen und holte einen orangenen Becher mit dem Aufdruck Gorilla Coffee hervor. Als er den Deckel abnahm, stieg aus dem Behälter heißer Dampf auf. In aller Seelenruhe trank er erst einmal drei Schluck Kaffee, bevor er Chalis Haus auch nur eines Blickes würdigte. Seine offenkundige Gleichgültigkeit versetzte mir einen Stich, aber vielleicht zog ich voreilige Schlüsse. War er tatsächlich desinteressiert, oder sammelte er sich erst einmal? Gut möglich, dass er schon die wichtigsten Fakten kannte: illegale Immigrantin wurde in heruntergekommener Gegend ermordet. Eine Menge Polizisten, die ich kannte, reagierten darauf nach dem Motto: Häng dich da nur nicht allzu sehr rein. Auf der anderen Seite kannte ich diesen Mann nicht und durfte ihm so eine Haltung nicht unterstellen, noch bevor ich ein einziges Wort mit ihm gewechselt hatte.
Nachdem er die Straße überquert hatte, ging ich ihm entgegen. Kaum setzte ich mich in Bewegung, blieb er stehen und starrte mich an.
»Es war nicht meine Absicht, Sie so zu überfallen«, entschuldigte ich mich. »Ich wollte mich nur kurz vorstellen, ehe Sie in dem Haus verschwinden.«
»Sind Sie die Dame, die das Opfer gefunden hat?« Er hatte eine kratzige Stimme, als würde er rauchen oder hätte erst vor kurzem dem Nikotin abgeschworen.
»Karin Schaeffer. Sie hat für mich gearbeitet.«
»Was bringt Sie auf die Idee, dass ich mit Ihnen sprechen möchte?«
»Sind Sie nicht Polizist?«
»Dachte nicht, dass man mir das ansieht.«
»Ich war früher auch in dem Club ... allerdings nicht hier. In New Jersey.«
Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. Er reichte mir die Hand. Diese Geste freute mich, obwohl der große Ring an seinem kleinen Finger in meine Handfläche schnitt. »Im Ruhestand?«
»Ja, darauf können Sie Gift nehmen.«
»Dann muss das hier ja ein Freudenfest für Sie sein.« Er zwinkerte, und dabei gelang es ihm, gleichzeitig warmherzig und sarkastisch zu wirken. Plötzlich mochte ich ihn. Er nahm einen Stapel Visitenkarten aus der Jackentasche, zog eine heraus und überreichte sie mir. Detective Jorge Vargas, 12. Polizeirevier.
»Höflichkeit, Professionalität, Respekt«, las ich von der Karte ab. »Klingt gut.«
»Das steht bei uns auf allen Karten.«
»Trotzdem.«
Er verstaute die restlichen Karten wieder in seiner Tasche. Als er die Hand wieder herausnahm, fiel etwas herunter und landete klimpernd auf dem Bürgersteig. Er bückte sich und hob es auf.
»Den habe ich von meiner Freundin, und er rutscht mir immer wieder runter.« Er steckte sich den Silberring an den kleinen Finger. »Sie hat ihn auf dem Flohmarkt in Brooklyn gefunden und mir das Versprechen abgenommen, ihn zu tragen, obwohl er zu groß ist.«
»Sie könnten ihn kleiner machen lassen.«
»Keine schlechte Idee.«
»Ungewöhnliches Schmuckstück«, bemerkte ich und musterte den Ring neugierig. Oben war ein dünner behauener Silberdraht aufgelötet, sodass es aussah, als hätte jemand am Fingeransatz eine Linie gezogen.
»Den hat ein Goldschmied von hier angefertigt«, sagte er mit einem Achselzucken.
»Ich verstehe, warum er Ihrer Freundin gefällt.« Was nicht der Wahrheit entsprach, denn der Ring war zwar cool, aber auch irgendwie hässlich. Das Design sprach mich überhaupt nicht an.
»Könnten Sie noch eine Weile bleiben?«, fragte er mich.
»Ja, kein Problem, aber später muss ich los.«
»Übrigens, alle nennen mich George. Geht einfacher von der Zunge, was?«
Ich nickte. Er ging weiter, traf in der Tür auf einen Mann mit blauen Plastikhandschuhen und einer blauen Jacke, auf der in großen weißen Buchstaben N. Y. C. Crime Scene Unit stand, und klatschte ihn ab.
»He, Georgie-Boy!«
»Hallo, Bud. Schlimm da drinnen?«
»Geht so.«
Ich erinnerte mich an die Parolen während meiner Ausbildung: Immer schön den Kopf hochhalten! Und keinen Fehler machen! Für die beiden war es ein ganz normaler Arbeitstag. Inzwischen waren sich alle darüber im Klaren, dass der Täter das Opfer abgeschlachtet hatte und ihnen nichts anderes übrig blieb, als hinter ihm aufzuräumen. In diesem Moment schwor ich mir, Chalis Mord persönlich zu nehmen.
Polizisten gingen von Tür zu Tür und befragten die Anwohner. Kurz plauderte ich mit einem jungen Reporter. Da er mich nicht nach meinem Namen fragte,
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