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Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Titel: Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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zu. Was »Rs. 2 Lakh« bedeutete, war mir allerdings ein Rätsel.
    Ich klickte den Artikel an, in dem über den Heiratsmarkt für junge Mädchen und Frauen berichtet wurde. Der Preis war abhängig vom Alter, von der Jungfräulichkeit und von früheren Eheschließungen. Eine kurze Recherche ergab, dass »Rs. 2 Lakh« ungefähr fünftausend Dollar entsprach.
    Mir wurde schlecht, und plötzlich hatte ich das Gefühl, unter Seekrankheit zu leiden und das Gleichgewicht zu verlieren. Mir war schwindelig, und ich sah doppelt. Ich schloss die Augen, atmete tief durch und recherchierte weiter.
    Ein Lakh entsprach hunderttausend Rupien. Onkel Ishat hatte Dathi für zehntausend Rupien verkauft. Somit waren zehntausend Rupien zweihundert Dollar. War dies in Indien momentan der gängige Marktpreis für ein Mädchen? Für diese Summe bekam man in den Staaten nicht mal einen Fernseher.
    Mit klopfendem Herzen googelte ich weiter. Ich musste mehr erfahren – mich davon überzeugen, dass ich nicht phantasierte, dass ich mich von dem, was im Internet als Wahrheit verkauft wurde, nicht aufs Glatteis führen ließ. Innerhalb kürzester Zeit fand ich heraus, dass es im Netz zig Blogs, Chats und Berichte über Menschenhandel gab, und beim Lesen kam es mir vor, als befände ich mich in einem langen dunklen Tunnel ohne Licht am Horizont. Irgendwann verlegte ich mich auf eine andere Vorgehensweise. Es machte mehr Sinn, wenn ich mich auf die gut recherchierten Artikel konzentrierte, die von namhaften Journalisten geschrieben waren, die in renommierten Zeitungen publizierten. Nur so würde es mir gelingen, zwischen Wahrheit und Paranoia zu unterscheiden.
    Je zuverlässiger die Quellen, desto mehr Glauben schenkte ich ihnen, desto beklemmender lasen sich die zweifelsohne wahren Berichte, die ich fand.
    Dass junge Mädchen in Indien und Afrika häufig – wie Chali – von älteren Männern gekauft und dann geehelicht wurden, war mir nicht neu: aber dass sie auch als »Dienstmagd« oder »Zimmermädchen« verhökert und in Wahrheit zur Prostitution gezwungen wurden, erfuhr ich erst jetzt. Selbstverständlich hatte ich von Menschenhandel gehört, doch welches Ausmaß er angenommen hatte, wie viele Jungs und – vor allem – Mädchen von ihren Familienangehörigen als Sexsklaven feilgeboten wurden, erstaunte mich.
    Die Zahl, die kursierte, war schockierend: 1,3 Millionen. So viele Kinder wurden allein in Indien zur Prostitution gezwungen, wobei fünfzig Prozent von ihnen einheimisch waren und die übrigen aus anderen Ländern stammten.
    Teilweise waren die Opfer so jung wie mein Ben, zahlreiche Mädchen gerade einmal in Susannas Alter. Mädchen in der Pubertät – wie die zwölfjährige Dathi – erzielten den höchsten Preis, und wenn sie versuchten zu fliehen, wurden sie geschlagen und so lange unter Drogen gesetzt, bis sie süchtig waren und gar nicht mehr auf die Idee kamen, sich aus dem Staub zu machen.
    Das »Recht der ersten Nacht«, bei dem ein Kind entjungfert wurde, brachte fünfundzwanzigtausend Rupien oder gut fünfhundert Dollar ein.
    Danach wurden sie gequält, in Käfigen gehalten, vergewaltigt.
    In Indien »bediente« die typische Kinderprostituierte zehn »Kunden« pro Tag, und das sieben Tage die Woche. Dass siebzig Männer Sex mit einem Kind hatten und dafür kaum mehr bezahlten als für eine Tasse Kaffee, erschien mir unvorstellbar. Zudem war es gängige Praxis, dass nur das Bordell das Geld erhielt, während die leidtragenden Kinder leer ausgingen.
    Ich legte den Laptop weg. Meine Gedanken überschlugen sich, und ich zitterte wie Espenlaub.
    Was kaufte Onkel Ishat sich von den zweihundert Dollar, die er für Dathi erhielt?
    Mir wurde ganz schwindelig. Wieder schloss ich die Augen, lehnte mich an das Schlafsofa und wartete, bis sich mein Zustand besserte.
    Obwohl ich Dathi noch nicht persönlich begegnet war, wusste ich inzwischen einiges über sie. Da sie nur zu gut wusste, welches Schicksal ihr drohte, war sie von ihm weggelaufen. Im Unterschied zu vielen anderen Kindern in ihrer Lage war sie gebildet und vor diesem schlimmen Schicksal gewarnt worden. Ihre Mutter und Großmutter, die alles darangesetzt hatten, sie vor diesem Los zu bewahren, konnten Dathi nun nicht mehr beistehen. Ich malte mir aus, wie dieses mutige Mädchen ihrer Situation gnadenlos ausgeliefert war, wie sie sich vorkam, als wäre sie in einen bösen Traum geraten, wie sie einen Ausweg suchte und nicht von der Stelle kam. Und dann schweiften meine

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