Karl der Dicke beißt sich durch
du ihn nicht ins Körbchen stecken!“ Er wandte sich an Teresa. „Wie alt ist dein Bruder?“
„Alt?“ fragte das Mädchen und hob die Schultern.
„Ich meine, wie groß“, erklärte Egon. „So wie ich?“ Er hielt die flache Hand neben seinen Kopf. „Oder so wie mein Fahrrad?“ Er hielt die Hand neben das obere Rahmenrohr.
„Oh“, sagte Teresa, „ich verstehe! Vittorio vier Jahre.“
„Na, also“, rief Karl, „die Sache wäre demnach geritzt. Einen Vierjährigen darf man auf dem Rad mitnehmen. Paß auf, Teresa, Sonntag um 8 Uhr stehen wir hier vor dem Haus und machen klingelingeling. Du kommst heraus mit deinem Bruder Vittorio, schnappst dir das Fahrrad, das wir mitbringen, und ab geht die Post, verstanden?“
Das Mädchen nickte.
„Ich freue mich“, sagte sie. „Vittorio ist lieber Bruder und sich freut auch.“
Auf dem Nachhauseweg sprachen sie nur über Teresa. „Wie bist du bloß an eine so tolle Frau gekommen?“ fragte Egon.
„Die ist wirklich Oberklasse.“
„Hast du was anderes erwartet?“ sagte Karl. „Sie paßt zu mir. Ich seh’ ja schließlich auch nicht aus wie ein kaputter Eimer.“
„Na, ja, das nicht gerade“, räumte Egon ein, „du bist nur ‘n bißchen breiter gebaut als sie, bist ‘ne höhere Gewichtsklasse, wie ich mich liebenswürdigerweise mal ausdrücken möchte.“
„Ich gehöre eben zu den stattlichen Typen“, sagte Karl selbstzufrieden, „die etwas vorstellen in der Welt. Das weiß Teresa zu schätzen. Bei so schmalen Hemden wie dir muß man ja zweimal hingucken, bevor man sie überhaupt wahrnimmt.“
Natürlich wollte Karl nicht sechs Tage warten, bis er seine Teresa wiedersah. Darum machte er sich am Mittwoch noch einmal allein auf den Weg zu ihr.
Bei dieser neuerlichen Begegnung nun erfuhr er einiges mehr über die Lebensumstände der Familie Centoaqua. Er hörte, daß Teresa ihren kleinen Bruder Vittorio jeden Morgen, bevor sie zur Schule ging, zum Kindergarten bringen und nachmittags oft beaufsichtigen mußte. Ihre Mutter konnte beides nicht tun, da sie schon am frühen Nachmittag ihren Dienst in der Hähnchenbraterei antreten mußte, also gar nicht zu Hause war, wenn der Junge aus dem Kindergarten kam. Morgens aber schlief sie sehr lange, weil sie immer erst weit nach Mitternacht aus dem Wienerwald zurück war. Herr Centoaqua, Teresas Vater, arbeitete abwechselnd in Früh- und Spätschicht und konnte sich darum nur an den Nachmittagen und Abenden jeder zweiten Woche mit seinen Kindern beschäftigen.
„Papa und Mama müssen haben sehr viel Geld“, erklärte Teresa.
„Zimmer bezahlt 500 Mark jede Monat. Und brauchen wir auch Hose und Hemd und Mantel, und wollen wir
kaufen ein Auto, für fahren nach Italia, da ich habe noch drei Brüdern und Schwestern bei Mama von Mama.“ Karl nickte verstehend.
„Da hast du ja allerhand um die Ohren“, sagte er. „Ich meine, das ist nicht leicht für dich, morgens aufstehen, Frühstück machen, deinen Bruder versorgen, zum Kindergarten bringen und dann selbst zur Schule gehen. Ich glaube, ich würde das nicht schaffen.“
Er sah Teresa bewundernd an.
Die hob die Schultern und lächelte nur.
„Aber hör mal“, fuhr Karl fort, „daß eure Wohnung 500 Mark im Monat kostet, ist eine Schweinerei! Ich hab das Gefühl, ihr seid an einen richtigen Halsabschneider geraten. Mann sagt: Geld her, sonst macht Messer krr krr an Hals! Hab’ ich recht?“
„Si, si!“ sagte Teresa, „Mann ist böse. Einmal ein Tag Wasser ist kaputt, kommt nicht aus Wand. Papa nix Tee für Arbeit, Mama nix kann machen Essen! Papa geht Telefon und telefont mit Mann von Haus. Mann sagt, Wasser gut, du selbst hast gemacht kaputt, mußt du auch bezahlen selbst! Papa geht andere Mann, der macht Wasser wieder gut, aber muß bezahlen 100 Mark.“
„Das gibt’s doch nicht!“ rief Karl empört. „Dem Burschen muß man ganz schnell das Handwerk legen. Der hat ja wohl ‘n Triller unter seiner Meckyfrisur, ich meine, der ist hier oben düdelüt, verstehst du? Plemplem! Ich werd’ mir mal einfallen lassen, wie wir dem gehörig eins auswischen können.“
Erbegleitete Teresa zum Kindergarten und lernte dabei den kleinen Vittorio kennen, der seiner großen Schwester freudig entgegenlief und sich bald ohne Scheu bei Karl auf den Gepäckträger setzen ließ. Als er dann sogar, auf dem oberen Rahmenrohr sitzend, lenken durfte, während Karl das Rad am Sattel hielt und schob, war er glücklich und mochte gar nicht wieder
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