Karl der Dicke & Genossen
offensichtlich mehr für das Magere. Jedenfalls ließ er Karl links liegen und stürzte sich mit einem unbeschreiblichen Wutgeheul auf Egons Fuß. Egon schrie so laut um Hilfe, daß bei Guddel ein Schnürband riß. Da tauchte hinter dem Wolf ein kleines Mädchen auf, drei, vier Jahre alt. Das riß den Wolf kräftig am Schwanz und sagte: „Komm, Klecks, der Junge mag offenbar keine Hunde.“
Klecks, der hungrige Wolf, leckte Egon noch schnell fünfmal übers Gesicht und sprang dann mit langen Sätzen davon. Das Mädchen lief hinterher.
„Da hab’ ich euch aber Angst eingejagt, was?“ sagte Egon und versuchte aus vollem Halse zu lachen.
„Hast sie aber anscheinend doch nicht ganz aus dir ‘rausjagen können“, gab Karl zurück, „du zitterst ja immer noch wie Wackelpudding.“
„Alles Mache“, sagte Egon. „Also, kommt, brechen wir auf!“
„Ein Wolf, ein Wolf, ein böser Wolf!
Wo steckt der Egon nur?
Verzweifelt sucht das arme Tier.
Von Egon keine Spur!
Wie gefällt euch das?“ fragte Guddel.
„Großartig!“ lobte Karl. „Das mußt du in deinen Bericht mit auf nehmen.“
„Ein reizender Einfall“, sagte Egon. „Aber nun los, sonst kommen wir hier gar nicht mehr weg.“
„Ich bin dafür, daß wir hierbleiben“, sagte Karl. „Es wird schon dunkel. Wenn wir nicht bald unser Zelt aufbauen, können wir nichts mehr sehen.“ Guddel war derselben Meinung.
„Der Platz ist einsame Klasse“, sagte er, „und nette Tiere zur nächtlichen Unterhaltung haben wir auch. Wenn das liebe Hündchen uns im Schlaf der Reihe nach wäscht, sparen wir morgen früh Zeit und brauchen nicht erst Wasser zu suchen.“
Egon wäre aber gerne weitergefahren.
„Man soll niemals im Wald zelten“, sagte er. „Das ist bei einem Gewitter sehr gefährlich.“
„Dann kannst du dich ja als Blitzableiter aufs Dach setzen“, sagte Karl. „Wenn der Blitz dich sieht, vergißt er vor Lachen das Einschlagen.“
„Im Ernst, Jungs, ein Wald ist der denkbar schlechteste Platz“, sagte Egon. „Jeden Augenblick kann ein schwerer Ast herunterkrachen und uns zermalmen. Vorige Woche erst wurde ein Waldarbeiter auf diese Art erschlagen.“
„Mag schon sein“, sagte Karl, „aber wir sind ja Gott sei Dank keine Waldarbeiter. Ich baue jetzt jedenfalls das Zelt auf.“
Damit zerrte er von seinem Fahrrad eine große Plane herunter und rollte sie auf dem Waldboden aus. Guddel schnallte sein Zelt ab.
„Hole du mal einen vernünftigen Stein“, sagte Karl zu Egon, der immer noch wie angenagelt dasaß und den beiden zuschaute. „Damit kannst du dann die Heringe ‘reinhauen. Nun mach schon!“
„Auf eure Verantwortung“, murmelte Egon, stand auf und machte sich widerstrebend auf die Suche. Bevor er mit einem lächerlich kleinen Stein zurückkam, hatte Guddel alle Heringe mit seinem Schuh eingeschlagen. Das Zelt stand. Es bot Platz für vier Personen und war sehr gemütlich. Guddel zündete die Zeltlampe an und rollte seine beiden Wolldecken aus. Da stellte Egon fest, daß er seine Decken vergessen hatte.
„Macht nichts“, sagte Karl. „Wir merken ja nichts davon, wenn du frierst. Und wenn das Zähneklappern zu laut wird, rollen wir dich einfach nach draußen. Du könntest auch die ganze Nacht Wache stehen, dann brauchst du keine Decken. Schließlich erlaubten sie Egon aber doch, mit unter ihre Decken zu kriechen.
Guddel löschte das Licht. Es wurde stockdunkel im Zelt. Die Jungen lagen still nebeneinander. Ihre Fahrräder hatten sie zusammengebunden und ein Band an einem der beiden Zeltstäbe befestigt. Wenn jemand ein Rad bewegte, stürzte das Zelt ein. Davon würden sie bestimmt wach werden. „Gute Nacht“, sagte Guddel in die Stille hinein. „Hoffentlich gibt’s hier keine Menschenfresser! Ich muß nämlich immer so lachen, wenn jemand mit dem Messer an mir herumschneidet.“
Egon schüttelte sich. Es mußten ja nicht gerade Menschenfresser sein, ein paar ausgebrochene Zuchthäusler genügten auch schon. Mit dem Ohr auf dem Erdboden hört man viele Geräusche überlaut. Das leiseste Rascheln eines Tieres im Laub wird zum Schritt eines tückischen Angreifers. Egon lag hellwach. Karl der Dicke aber sägte den ganzen Wald um. Immer wieder stieß Egon ihn an. Endlich schlief auch er ein.
Um drei Uhr erwachte der Wald.
Die Amsel lockte, der Kuckuck rief, und der Zaunkönig trillerte. Ein zarter Nebelschleier breitete sich aus. Es war die kälteste Stunde des Tages.
Egon lag eingerollt in Karls Decke, und
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