Karl der Dicke & Genossen
der wärmte mit seinem bloßen Bauch den Waldboden. Sein Pullover war hochgerutscht, und die Plane, die Guddel so sorgfältig im Zelt ausgebreitet hatte, lag als zerknautschter Haufen zu seinen Füßen. Karl richtete sich auf und nieste. Die Luft war stickig und feucht. Er zog den Pullover herunter und kroch über Egons lange Beine zum Ausgang. Noch nie war er zu so früher Stunde in einem Wald gewesen. Er spürte die Morgenkälte prickelnd auf seiner Haut und schüttelte sich. Die Räder lagen unverändert neben dem Zelt. Gähnend und sich reckend ging Karl langsam an den Weg, wo sie ihren Pudding gekocht hatten. Von dort konnte er die Straße sehen. Noch war kein Fahrzeug unterwegs. Er wandte sich unschlüssig nach der entgegengesetzten Richtung. Vielleicht konnte er den Bach finden, in dem Egon seine Hose ausgewaschen hatte. Leise zog er Handtuch und Seife aus seinem Rucksack und machte sich auf die Suche. Ein rotweißes Brückengeländer, das er durch die Bäume schimmern sah, wies ihm den Weg. Der Bach führte klares Wasser. Und da reden die Leute immer von Umweltverschmutzung, dachte Karl. Dieses Wasser konnte man fast trinken, so sauber war es.
Er zog sich aus und stieg vorsichtig hinein. Ha, das war kalt! Aber man wurde wach davon. Unerschrocken legte er sich lang auf die Kiesel und plantschte mit Armen und Beinen. So ein Vollbad in der Frühe war doch etwas Herrliches. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, machte er ein paar Freiübungen und einen flotten Waldlauf. Dabei stieß er zufällig auf eine üppige Pilzkolonie. Dreißig und mehr erstaunlich große Pfifferlinge standen auf engem Raum zusammen. Er merkte sich die Stelle und rannte schnell zum Zelt zurück. Die beiden Freunde lagen immer noch friedlich nebeneinander. Karl suchte Teller und Töpfe sowie sein Taschenmesser und Egons Feuerzeug aus dem Gepäck. In seinem Rucksack fand er noch zwei rohe Eier...
Die beiden sollten staunen!
Eine Viertelstunde später brannte ein helles Feuer im Herd. In dem kleinen Topf brutzelten Eier und Pilze. Karl war so großartig zumute, daß er singen mußte. Merkwürdigerweise aber stimmte er nicht sein Lieblingslied an, das schien ihm nicht in die erhabene Größe des jungen Tages zu passen, sondern trompetete ergriffen und ergreifend „Abendstille überall“ über Pilze, Feuer, Eier und Zelt.
Der herzbewegende Gesang verscheuchte rasch Guddels letzten Traum. Er richtete sich auf und beobachtete eine Zeitlang den fleißigen Koch durch den Eingang des Zeltes, leise an einem Verse schmiedend. Als er ihn fertig hatte, schlüpfte er ins Freie und begrüßte den jungen Tag auf Dichterweise:
„Die Nacht ist um, der Tag bricht an.
O Freunde, laßt uns baden!
Ein bißchen Wasser auf der Haut
könnte bestimmt nicht schaden.“
Er hängte sich ein Handtuch um den Hals und angelte die Seifendose aus dem Gepäck. Übermütig sprang er über Karl, das Feuer und die Pilze hinweg.
„Können Sie mir verraten, mein Herr, wo ich die Toiletten und das Bad finde?“ fragte er den erschrockenen Koch. „Ja, du Blödmann“, rief Karl verärgert. „Toiletten sind hinter jedem Baum, und die Duschen rauschen zweihundert Meter westlich von hier.“
Guddel sauste lachend ab.
Durch das Geschrei war Egon erwacht. Er hätte gern noch zwei Stunden länger unter Karls warmer Decke gelegen. Mürrisch kroch er ins Freie und sah auf die Uhr. Sie zeigte halb fünf an.
„Gib mir mal Uhrzeit!“ rief er zu Karl hinüber.
„Gleich Mitternacht!“ sagte der.
„Dann ist ja noch Zeit“, sagte Egon und streckte sich wieder auf die Decke.
Guddel fand schnell den Bach und nahm ebenfalls ein Vollbad. Anschließend rubbelte er sich so heftig ab, daß seine Haut rot wurde wie ein Stück Rindfleisch.
Er hatte unmittelbar neben der kleinen Brücke gebadet, über die der Feldweg lief. Als er die Böschung wieder hinaufkletterte, sah er auf dem Weg eine junge Frau daherkommen. Sie schob ein Fahrrad, an dem vier Milchkannen hingen, und wollte offensichtlich zum Melken.
„Guten Morgen“, sagte Guddel.
„Morgen“, erwiderte die Frau.
„Das Schieben ist wohl gar nicht leicht hier auf dem Sandweg, was?“
„Och, ich bin es gewohnt, ich tue es ja jeden Tag.“
„Warten Sie, ich helfe Ihnen!“
Guddel legte Handtuch und Seife ins Gras und nahm das Rad.
Die junge Frau ließ ihn gewähren. Sie lachte und folgte ihm langsam.
Auf der Weide standen die Kühe schon Schlange und muhten.
Guddel stellte das Rad hin und hängte die Kannen ab.
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