Karl der Dicke & Genossen
Ratte jagt. Sie halfen Herrn Mertens den ganzen Vormittag, schleppten, putzten und bürsteten. Nach dem Essen reinigten sie sogar noch die Aquarien. Das war eine Arbeit, die sie mit großer Vorsicht ausführen mußten, damit das verbrauchte Wasser den Weg in den Abfluß fand und nicht den dicken Orientteppich aufweichte. Außer einem großen Fleck in der Nähe des Schreibtisches hinterließen sie erstaunlicherweise auch keine Spuren ihrer Arbeit, und selbst diese fiel niemandem auf, weil Karl die Stehlampe darüberschob.
So war Herr Mertens um die Kaffeezeit, als alles, was er sich erhofft hatte, getan war, sehr zufrieden. Er lobte die fleißigen Gehilfen und gab ihnen dreißig Mark in die Reisekasse.
„Bleibt gerne noch eine Nacht hier“, sagte er, „dann könnt ihr morgen gut ausgeruht mit frischen Kräften eure Fahrt fortsetzen.“
Aber die drei erinnerten sich an das unheimliche Wesen mit den grünen Augen, an das Poltern auf dem Dachboden und an das schreckliche Los des armen Perserkaters Leopold und waren einstimmig der Meinung, daß sie mal wieder eine Nacht im Zelt schlafen sollten. Sie bedankten sich für das freundliche Angebot und machten sich reisefertig. Tante Anna steckte ihnen eine bunte Obstmischung in den Rucksack und legte für jeden noch eine der hartgebackenen Ratten, wie sie die Hamelner Bäcker jedem Fremden zum Zähneausbeißen empfehlen, obenauf.
„Grüßt eure Eltern“, sagte Herr Mertens, während er sie in seinem Rollstuhl bis auf den dunklen Flur begleitete, „und du, Karl, ganz besonders deine Mutter. Bestelle ihr, daß ich es außerordentlich bedaure, sie nicht auch kennengelernt zu haben. Sie muß eine tüchtige Frau sein, nach allem, was du erzählt hast. Ich wollte, sie wäre meine Tochter!“ Er winkte ihnen zu, als sie die steile Treppe hinuntertappten, und rollte dann in sein Studierzimmer zurück. Vor der Haustür flüsterte Egon Guddel ins Ohr: „Opa Hameln ist doch älter, als man glaubt. Er spinnt bereits!“ Karl öffnete schon den Mund, um das aus vollem Herzen zu bestätigen, da fiel sein Blick auf das Namensschild neben der Tür. „Mertens“ stand da, sonst nichts, einfach „Mertens“, schlicht und ohne Zusatz. Aber der Name war ohne „h“ geschrieben, und das bedeutete, daß der freundliche lahme Mann, der ihnen Obdach gewährt und dreißig Mark geschenkt hatte, auf keinen Fall sein Opa Hameln sein konnte; denn der Geburtsname seiner Mutter wurde mit „h“ geschrieben, das hatte er erst vor ein paar Tagen auf ihrer Kennkarte gesehen.
Karl behielt seine Entdeckung noch für sich, wußte es aber so einzurichten, daß sie nicht gleich aufstiegen, sondern ihre Fahrräder eine Weile schoben, und zwar auf der anderen Straßenseite. So konnte er unauffällig die Namensschilder an den Haustüren lesen.
Sein Verdacht bestätigte sich bald. Schon im vierten Haus wohnt ein Mertens mit „h“, Opa Hameln! Karl blieb stehen und rief den beiden andern zu: „Nicht so hastig, Leute! Ich hab’ euch eine Mitteilung zu machen! Hier, in diesem altehrwürdigen Haus, wohnt mein lieber, guter Opa Hameln, Herr Mehrtens mit ,h’. Der andere Mensch, der uns mit Katzen und Ratten erschreckte, ist ein Hochstapler.“
Egon und Guddel lasen den Namen an der tür und sahen Karl an.
„Ich würde es nicht unbedingt Hochstapelei nennen“, sagte Egon schließlich. „Wenn ein Professor es sich gefallen läßt, daß man ihn für einen pensionierten Müller hält, ist das eher Tiefstapelei.“
„Ob hoch oder tief, gestapelt hat er“, brummte Karl. „Führt sich da zwei Tage lang als mein Opa auf! Das ist eine unverzeihliche Anmaßung. Wer bin ich denn, daß ich mir das gefallen lassen muß? Da könnte ja jeder kommen und sich brüsten, einer meiner ehrenvollen Vorfahren zu sein.“
„Mensch, übernimm dich bloß nicht!“ bremste Egon. „Wenn ich dein Opa wäre, würde ich mich hüten, das öffentlich zu bekennen.“ In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Hauses, vor dem sie standen, und ein sehr dünner gelbgesichtiger Mann trat hastig und erregt auf sie zu. „Verschwindet hier, aber sofort!“ rief er drohend. „Als alter Mensch braucht man seine Ruhe. Macht, daß ihr weiterkommt!“
Er blieb neben Karl stehen und sah wütend zu Egon hinüber, weil der ihn unverschämt angrinste.
„Wird’s bald! Los, los! Vor meinem Haus wird nicht gelärmt!“ zischte er böse.
„Ei, ei, Karlchen“, sagte Egon, möchtest du dich dem liebenswürdigen Herrn nicht zu
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