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Karl der Dicke & Genossen

Karl der Dicke & Genossen

Titel: Karl der Dicke & Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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sie Tante Anna auf den Dachboden. Vielleicht, wenn sie so taten, als hielten sie alles, was hier geschah, für alltäglich und normal, konnten sie ungeschoren davonkommen.
    Tante Anna war inzwischen auf dem Boden angelangt. Sie blieb stehen und blickte sich um.
    „Ja, es ist Leopold“, sagte sie mit einem leisen Aufschrei.
    „Unser lieber Leopold. Kommt, ihr müßt mir helfen. Allein schaffe ich es nicht.“
    Die Jungen betraten widerstrebend die Dachkammer, standen dichtgedrängt nebeneinander und starrten an Tante Anna vorbei auf Leopold, der mit gebrochenem Rückgrat unter einer schweren indonesischen Tigerfalle lag. Leopold, der junge hübsche grauweiße Perserkater.
    Später, als sie ihn begraben hatten und Kisten und Kasten aus dem Keller nach oben schleppten, benutzte Karl eine kleine Verschnaufpause, seinen Opa zu fragen, warum denn Leopold hatte sterben müssen und warum schon vier andere Katzen vor ihm.
    Herr Mertens legte den ausgestopften Maulwurf, den er mit einer Lösung gegen Motten bespritzt hatte, auf den Tisch und sagte: „Leopold war, genau wie die vor ihm Verstorbenen, ein großer Rattenfänger. Wenn er die Witterung von einer Ratte in die Nase bekam, konnte ihn niemand halten. Gleichzeitig war er sehr anhänglich und zärtlich und saß gern auf meinem Schoß, und nachts kroch er unter meine Bettdecke. Er liebte die Wärme über alles. Das ist ja auch verständlich, denn seine Vorfahren stammen aus Persien. Gestern abend fand er die Tür in mein Schlafzimmer verschlossen. Da versuchte er, zu euch ins Bett zu schlüpfen. Was Egon für einen Gnom hielt, war niemand anders als Leopold.
    Ich konnte nicht einschlafen. Normalerweise sitze ich nämlich noch lange auf und arbeite am Schreibtisch. Das war gestern ja nicht möglich, weil ihr bei mir im Arbeitszimmer wart. Außerdem hattö ich dummerweise meine Schlaftabletten im Schreibtisch liegenlassen. Es muß nach Mitternacht gewesen sein, als ich mich entschloß, hier ins Zimmer hinüberzurollen und sie zu holen. Weil ich fürchtete, ihr könntet erschrecken, wenn ihr erwachen solltet, machte ich kein Licht, sondern nahm nur meine Taschenlampe mit. Zweifellos hätte ich meine Tabletten holen können, ohne euch zu wecken, wenn nicht Leopold mit seinem Temperament dazwischengekommen wäre. Als ihr in verjagtet, kam ich gerade ins Zimmer. Er flüchtete sich zu mir auf den Schoß. Was ihr für ein großes Wesen hieltet, war ich mit meinem Rollstuhl, und die grünen Augen gehörten dem armen Leopold.
    Ich hörte euch schreien und rollte darum, so schnell und geräuschlos es ging, in mein Schlafzimmer zurück. Was hättet ihr wohl gedacht, wenn ihr mich erkannt hättet! Die Wahrheit, daß ich nämlich nur meine Schlaftabletten holen wollte, hättet ihr mir wohl kaum abgenommen.“
    Die Jungen nickten. Tatsächlich, die Wahrheit hätte sehr unwahr geklungen.
    „Leopold wollte nicht mehr schlafen“, fuhr Herr Mertens fort. „Er stand an der Tür zum Flur und jaulte. Da ließ ich ihn ‘raus. Wir haben hin und wieder Ratten auf dem Boden, wißt ihr, die von der Weser kommen und wahrscheinlich den stillgelegten Kamin hochklettern. Gestern abend war bestimmt eine da.“
    „Natürlich!“ rief Guddel. „Wir haben sie ja gesehen, als wir die Matratzen herunterholten. Ein scheußliches Biest!“
    „Da habt ihr’s!“ sagte Herr Mertens. „Die muß Leopold gespürt haben. Er jagte sie auf dem Boden und geriet dabei in die Tigerfalle.“
    „Warum stellen Sie denn die Fallen überhaupt auf?“ fragte Egon.
    Herr Mertens schüttelte den Kopf.
    „Ich fasse die Fallen gar nicht an“, sagte er. „Wie sollte ich auch, ich kann ja die Bodentreppe gar nicht hinaufsteigen. Nein, irgend jemand anders, der außer Tante Anna Zutritt zum Boden hat, muß sich hin und wieder den bösen Scherz erlauben, die Fallen zu spannen. Ich kann mir aber nicht denken, wer das sein könnte.“
    „Teilen Sie den Boden mit einer anderen Partei im Haus?“
    „Nein, er gehört mir allein.“
    „Dann käme eigentlich nur der Schornsteinfeger in Frage“, sagte Egon, „denn der muß doch auf den Boden, wenn er den Schornstein fegen will.“
    Herr Mertens sah Egon entgeistert an.
    „Junge“, rief er, „du hast recht! Der könnte es tatsächlich sein. Na, warte, wenn er nächstens kommt, werde ich ihn mal ins Kreuzverhör nehmen! Und wehe ihm, wenn er der Übeltäter war!“
    Das also war der Mord im Spukhaus: ein Gelähmter, der seine Tabletten sucht, und eine Katze, die eine

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