Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Christianisierung der Sachsen hatte im Laufe eines Jahrhunderts ein zukunftsfähiges Gemeinwesen jenseits der Stammesfeindschaften hervorgebracht.
Das eiserne Saatfeld
Im Feldzug gegen die Langobarden räumte Karl seinen letzten hartnäckigen Widersacher aus dem Weg.
Von Thorsten Oltmer
Als die Karolinger auf den Thron kommen, sind die Langobarden schon seit Menschengedenken in Italien ansässig. Ihr Reich haben sie im Jahr 568 begründet; unter König Aistulf beherrschen sie 751 fast die ganze Apenninenhalbinsel bis auf Rom und ein paar Küstengebiete, die zu Byzanz gehören. Immer wieder fordern sie den Kirchenstaat heraus; einmal belagern sie Rom sogar für 55 Tage.
Die Franken kommen der Stadt zu Hilfe – Karls Vater Pippin zieht zweimal über die Alpen und bezwingt Aistulf schließlich. Nach dessen Tod fällt die Krone an Desiderius aus Brescia, bislang Statthalter der Toskana. Zunächst scheint es eine Annäherung der beiden Großmächte zu geben: Um den Bund zu stärken, heiratet Frankenkönig Karl 770 eine Tochter des Desiderius, die in manchen Quellen Gerperga heißt. Eingefädelt hat den politischen Schachzug Bertrada, Karls Mutter – der römischen Kurie gefällt die Verbindung begreiflicherweise gar nicht. Aber schon nach einem Jahr verstößt Karl die junge Frau, weil sie angeblich unfruchtbar ist. Für die Langobarden kommt der Vorgang einer Kriegserklärung gleich. Doch wenden sie sich nicht offen gegen Karl, der nach dem frühen Tod seines Bruders Karlmann Ende 77 1 als Alleinherrscher regieren kann.
Den Aufstieg des Franken, dessen Machtbereich nun direkt an langobardisches Gebiet grenzt, beobachtet Desiderius mit Argwohn. Er drängt den neuen Papst Hadrian I. , Karlmanns minderjährige Kinder zu salben und ihnen damit die fränkische Königswürde zu verschaffen – vielleicht hätte er sie so zum eigenen Vorteil als Thronfolger durchsetzen können. Als Hadrian sich weigert, antwortet der Langobarde mit wüsten Drohungen, besetzt der Kirche gehörende Städte und nähert sich Rom bis auf einen Tagesmarsch. Der bedrängte Papst appelliert an Karl, seinen Schutzherrn im Norden.
Bis Mai 773 dauert es, dann stimmen die fränkischen Granden in Genf einem Feldzug gegen die Langobarden zu. Bald danach schon zieht ein Heer über die Alpen, »rüstiger als bei den Zügen des Darius oder Julius«, wie der fabulierlustige Mönch Notker der Stammler später schreibt. Die wirkliche Größe ist nicht überliefert, Schätzungen gehen von einigen tausend bis zu 10 0 00 Kriegern aus.
In zwei Marschkolonnen durchquert der Tross das Gebirge: Eine zieht über die Passstraße des Großen St. Bernhard, die andere, von Karl geführt, über den Mont Cenis. Doch schon als Karl das Flachland erreicht hat, stockt sein Vormarsch. Am südöstlichen Ende des Susa-Tals, an der »Klause von St. Michael«, einer gut zu verteidigenden Engstelle, lauern langobardische Truppen. Erst als nach Tagen die zweite Kolonne eintrifft, gelingt der Durchbruch. Die Krieger des Desiderius fliehen aus Angst, eingeschlossen zu werden, und verschanzen sich in den befestigten Städten; der König zieht sich in seine Hauptstadt Pavia zurück.
Notker erzählt dazu eine schöne Geschichte, die sich noch in den Sagen der Brüder Grimm als »Der eiserne Karl« findet: Desiderius beobachtet von einem hohen Turm Pavias das Herannahen der fränkischen Armee. An seiner Seite ist Ogier der Däne, einst in Karls Diensten, der nach einem Zwist zu den Langobarden floh. Immer wieder fragt der König ihn, ängstlich und ängstlicher: »Ist dies Karl?« Wieder und wieder verneint der Däne und spricht: »Wenn du siehst, dass auf den Gefilden ein eisernes Saatfeld starrt, dann ist Aussicht da, dass Karl kommt.« Schließlich erscheint der fränkische Herrscher; er und sein gewaltiges Streitross sind ganz in Eisen gerüstet. »Hier hast du den, nach dem du so viel frugest!«, ruft Ogier voller Schrecken und stürzt ohnmächtig zu Boden.
Ganz so kleinmütig wie in dieser erfundenen Szene war Desiderius offenbar nicht. Erste Angriffe Karls auf die Mauern Pavias im September scheitern am erbitterten Widerstand der Verteidiger; ein weiteres Stürmen wäre mit hohen Verlusten verbunden. Auch stehen den Franken keine Kriegsmaschinen zur Verfügung. Karl beschließt, die Festung auszuhungern, und richtet sich auf eine Belagerung ein.
Keine leichte Sache: Die Stadt mit ihrem rechteckigen Grundriss liegt strategisch günstig am Nordufer des Flusses Tessin, 35
Weitere Kostenlose Bücher