Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
überwältigten die Bewacher der Karlsburg und drangen plündernd auf fränkisches Gebiet vor, bis nach Köln und zur Mündung der Mosel. Die Empörer führte ein Mann, der bald zu einer mythischen Gestalt werden sollte: Widukind. Der westfälische Adlige hatte an der Reichsversammlung in Paderborn nicht teilgenommen und sich zeitweilig nach Dänemark abgesetzt. Eine Legende erzählt, er sei mit der Tochter des dänischen Königs verheiratet gewesen, die ihm Söhne und Töchter gebar. Der Sachsenführer stützte sich auf den niederen Adel und die ländliche Bevölkerung. Viele einfache Sachsen betrachteten die fränkischen Missionare, die, bewacht von Soldaten, Kreuze durch die Gegend trugen und fromme Lieder sangen, als feindliche Eindringlinge. Dass der fränkische König verbot, Volksversammlungen der Sachsen wie jährlich in Marklo abzuhalten, musste ihnen als dreiste Anmaßung eines Fremdherrschers erscheinen. Der Volkskrieg, den Widukind führte, richtete sich auch gegen einheimische Edelleute, die sich mit der fränkischen Macht arrangiert hatten. Die Rebellen töteten sächsische Adlige, die sich von den Franken zu Grafen hatten ernennen lassen. Und natürlich verjagten und erschlugen sie fränkische Priester.
Welche militärische Kraft das widukindsche Bauernheer entwickeln konnte, zeigte sich 782 bei der Schlacht am Süntel, einer 440 Meter hohen Erhebung im Weserbergland. Dort vernichtete die sächsische Volksarmee eine ganze Heeresabteilung der Franken. Deren Marschall Geilo und weitere Anführer kamen ums Leben. Die Sachsen lockten Karls Reiter in Gräben und Fallgruben. Sie dezimierten die Gegner im Nahkampf. »Beinahe alle Franken blieben auf dem Kampffeld«, resümiert der französische Karl-Biograf Jacques Delperrié de Bayac.
Immer wieder unterschätzten die Franken den Hass, der ihnen entgegenschlug. Kurz vor der Schlacht am Süntel hatte Karl sächsische Adlige auf einer Reichsversammlung in Lippspringe auf seine strengen Gesetze verpflichtet. Wer dem Monarchen die Treue brach oder seine Soldaten angriff, den erwartete die Todesstrafe. Die Hinrichtung drohte allen, die Kirchen oder Priester attackierten, aber auch jedem, der einen Leichnam nach sächsischer Tradition und heidnischem Brauch einäscherte. Möglicherweise waren es gerade diese unerbittlichen Gesetze, die dem Geist des Aufruhrs neuen Zunder gaben.
Der sächsische Sieg am Süntel muss die Franken in erbitterte Wut versetzt haben. Welchen Zorn Karl und seine Umgebung gegen die »treulosen« Sachsen empfanden, zeigen Aufzeichnungen des wichtigsten Beraters am Königshof, Alkuin. Der nannte den widerständigen Stamm ein »nichtswürdiges Volk« und eine »verfluchte Generation«. Dieses Denken verleitete Karl zu einem politisch motivierten Massaker. Bei Verden an der Aller ließ der Frankenkönig 782 bis zu 4500 Sachsen enthaupten – genaue Zahlen gibt es nicht. Geblieben ist die Erinnerung an eine Gräueltat.
Widukind war es unterdessen gelungen, sich nach Dänemark zu retten. Von dort aus steuerte er eine Weile den Partisanenkampf gegen die Franken, bis er dann – mit noch größerem Rückhalt unter seinen Stammesgenossen – zurückkehrte. Zwar zogen Karls Truppen, bisweilen auch vom König selbst geführt, durch das Sachsenland, um ihre Macht zu demonstrieren. Doch in offener Feldschlacht war Widukind nicht zu besiegen. Der Kampf gegen ihn war mühsam und aufwendig. Die Franken mussten hölzerne Festungen auf Waldlichtungen bauen und mit Lastkähnen über Flüsse setzen, um ihre vorgeschobenen Positionen zu verteidigen und zu versorgen.
Da entschloss sich der Frankenherrscher zu einem politischen Schritt, um den Krieg zu beenden. Er sandte sächsische Boten zu Widukind und dessen Adlatus Abbio. Beide lud er ein, mit ihm Frieden zu schließen. Nach anfänglichem Zögern reisten die beiden in der Weihnachtszeit 78 5 zu Karls Königspfalz Attigny am Ufer der Aisne im heutigen Nordfrankreich. In Attigny feierten die bisherigen Feinde gemeinsam Weihnachten – was für ein Symbol! Mit Gespür für diplomatisches Zeremoniell setzte der König seine Gastfreundschaft als Waffe ein. Widukind und Abbio ließen sich taufen, Karl war Taufpate. Der König schenkte dem zum Glaubensbruder bekehrten Sachsenführer ein goldenes Reliquiar. Beeindruckt haben muss Widukind auch die Klugheit des Monarchen, der Kunst und Wissenschaft förderte.
Die Bekehrung des Rebellenführers brachte die Wende im Sachsenkrieg. Von 785 an kehrte zunächst Ruhe
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