Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
geführt. Aber die Vernichtung der heidnischen Widersacher war nie sein Ziel gewesen. Früh schon hatte der Herrscher um die Gunst der Sachsen als militärische Verbündete geworben, wissend um ihre kriegerischen Qualitäten. Seit 787 konnten sächsische Verbände an fränkischen Feldzügen teilnehmen. Auch beim Heerzug gegen die Awaren, der 791 bei Regensburg begann, reihten sich Sachsen von Anfang an mit ein.
Kriegervolk mit Goldschatz – Die Awaren einst und heute
Im 8. Jahrhundert lebten im heutigen Gebiet Ungarns Steppennomaden turkomongolischer Herkunft, die von westlichen Chronisten Awaren genannt wurden. Frankenkönig Karl sah das Reitervolk als Bedrohung an der Ostflanke seines Reiches. Die Awaren, bewaffnet mit Lanzen, Krummschwertern und weit schießenden Bögen, galten als bewegliche und starke Krieger. Gegen sie mobilisierte Karl 791 ein Heer aus Franken, Sachsen, Friesen und Slawen. Der Feldzug, der sich in mehreren Etappen über ein Jahrzehnt hinzog, war neben den Sachsenkriegen die bedeutendste militärische Operation des fränkischen Herrschers. 795 gelang es ihm, das Hauptquartier der Awaren, den sogenannten großen Ring nordwestlich von Belgrad, einzunehmen.
Karls Armee beschlagnahmte reichhaltige Schätze, darunter große Mengen an Gold. Das Beutegut verteilte der König an Gefolgsleute, Bistümer, Abteien und arme Landeskinder. Die unterlegenen Awaren wurden christianisiert. Das von ihnen beherrschte Land ließ Karl in eine sogenannte Grenzmark verwandeln. Sie war kein Teil des Reiches, sondern eine vorgelagerte Provinz zum Grenzschutz.
Heute nennen sich die Angehörigen eines Volks in der von Russland beherrschten Kaukasusteilrepublik Dagestan Awaren. Sie sind mit den ursprünglichen Awaren verwandt. Auch die kaukasischen Awaren, etwa 850000 Menschen, gelten als kriegerisch und blicken auf eine lange Tradition des Rebellentums zurück.
Widukind, der sturmfeste Held des sächsischen Widerstands
Beginnend im Mittelalter, wurde der Sachsenführer zur legendären Figur, erhoben zum Seligen. Nach seiner Wiederentdeckung aus dem Geist der Romantik etablierte sich Widukind als volkstümlicher Mythos. Seit 1842 stiftete Preußens König Friedrich Wilhelm IV. als Brauchtumsförderer jährlich einen Beitrag für die sogenannten Wittekind-Spende, eine Armenspeisung, deren Tradition wohl bis in die frühe Neuzeit zurückreicht. Schon bei der Thronbesteigung hatte ihm Westfalen zur Huldigung einen angeblich aus Widukinds Besitz stammenden Becher geschenkt.
Die Nazis propagierten zeitweise eine völkische, antichristliche Variante des Widukind-Kults. Der sächsische Recke musste dabei für das ethnische Reinheitsgebot der Germanen-Epigonen herhalten. Völkisch inspirierte Dichter brachten 1935 gar 30 Widukind-Dramen zu Papier. Bei einer NS-Kundgebung im Nordharz tönten Rundfunkreporter 1933 von »unseren Ahnen, die hier den Christenkaisern trotzten«. Kurz darauf dichtete der Braunschweiger Musiklehrer Hermann Grote das noch heute als Landeshymne geschmetterte Niedersachsenlied mit dem jeweils leicht abgewandelten Refrain: »Wir sind die Niedersachsen, / Sturmfest und erdverwachsen, / Heil Herzog Widukinds Stamm.«
Die Loyalität dieses Stammes war Karl umso wichtiger, als er bis 806 auch die Sorben unterwarf, ein slawisches Bauernvolk. Dieses kleinste der slawischen Völker wurde später ein Teil der deutschen Nation. Doch seine kulturelle Identität und die dem Tschechischen verwandte Sprache sollte es bis ins 21 . Jahrhundert bewahren.
Wie sehr er die kampferprobten Sachsen schätzte, bewies Karl in seinen letzten Regierungsjahren: Er übertrug dem sächsischen Grafen Ekbert ein Grenzschutzkommando im Nordosten, wo Slawen und Wikinger als Bedrohung galten. Der Graf war verheiratet mit einer Fränkin. Verwandte Karls wiederum ehelichten sächsische Frauen. So wuchs zwischen Rhein und Elbe allmählich zusammen, was zusammengehörte, eine Stammesverbindung, aus der die späteren Deutschen hervorgehen, gemeinsam mit anderen Stämmen wie den Bayern, Thüringern oder Alemannen. Das zeigte auch das Schicksal der Nachkommen Widukinds. Ein Enkel wuchs am fränkischen Königshof auf und machte eine feierliche Wallfahrt nach Rom. Ein Urenkel des Sachsenhelden wurde gar Bischof von Bremen.
Eine Nachfahrin Widukinds, Mathilde, war es auch, die im November 912 in Memleben im heutigen Sachsen-Anhalt jenen Otto gebar, der als »der Große« erster deutscher Kaiser werden sollte. Karls mühsame Unterwerfung und
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