Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
repräsentierten seine Macht, wenn er nicht vor Ort war, und gaben materiellen Rückhalt, wenn er durch die Lande zog. Manchmal übernahmen die Versorgung zwar geistliche oder weltliche Fürsten, öfter aber bewohnte Karl seine eigenen Pfalzen und Königsgüter.
So gewaltig sein Reich war, so viele Pfalzen musste er auch unterhalten. Über das Gebiet des heutigen Deutschlands, Frankreichs, der Niederlande und der Schweiz waren vermutlich über hundert von ihnen verteilt. Einige waren sogenannte Winterpfalzen. Andere wurden zu »Osterpfalzen«, manche dienten eher als »Grenz-« oder »Jagdpfalzen«.
Der Gebäudeplan ähnelte sich überall: Man brauchte einen repräsentativen Hallenbau, die sogenannte Aula Regia, in der Karls Thron stand und wo er Versammlungen abhalten konnte. Daran sollte sich ein beheizbarer Wohntrakt für die königliche Familie anschließen. Für Gebete und Messfeiern musste jede Pfalz über ein Gotteshaus verfügen, außerdem über Wirtschaftsgebäude, in denen die Kleider des Königs gewaschen, Mahlzeiten zubereitet und Pferde versorgt werden konnten. Eine größere freie Fläche diente als Versammlungsplatz bei Synoden und Reichstagungen.
Die besonders gut erforschte Pfalz Ingelheim bedeckte eine Fläche von etwas mehr als zwei Fußballfeldern. Allerdings ist bis heute nicht gesichert, dass auch jede Pfalz die Anforderungen des Herrschers wirklich erfüllte. Der Nachweis ist schwierig, denn Archäologen müssen sich oft durch tausend Jahre Zivilisationsgeschichte graben, ehe sie auf karolingisches Gemäuer stoßen – sofern sie wissen, wo sie graben sollen. In Dortmund und Magdeburg muss es große Pfalzen gegeben haben, so verraten Aufzeichnungen; wo genau, ist allerdings bis heute unbekannt. Oft standen die Anlagen dort, wo schon die Merowinger Königsgüter unterhalten hatten. Aber Karl gründete auch neue Residenzen. Dazu beschenkte er einen lokalen Verwalter mit Landgütern, um den Bau zu finanzieren. So etwa im Fall der Paderborner Pfalz. Sie lag an einem strategisch wichtigen Punkt: Die Quellen der Pader lieferten frisches Wasser; fruchtbares Ackerland und große Wälder lagen in der Nähe. Eine Handelsstraße führte zum auch damals schon bedeutenden Ort Frankfurt, eine weitere von Flandern nach Magdeburg – und die Pfalz lag mitten in erobertem Sachsengebiet. Sie war das Symbol für Karls Macht. Viele Sachsen hatten noch nie ein Haus aus Stein gesehen.
In Paderborn ließ der fränkische Monarch auch so manchen Heiden unter Zwang christianisieren. Historiker sprechen daher von einer »Taufpfalz«. Von ihrer Gründung im Jahr 776 an war sie stark befestigt und verfügte über eine Wehrmauer. Trotzdem drangen sächsische Krieger zweimal ein und zerstörten die ihnen verhasste Anlage teilweise; zudem verwüsteten sie eine Kirche und plünderten umliegende Höfe. Erbost befahl Karl den Wiederaufbau.
Wirtschaftshöfe in der Nähe waren ein weiteres Markenzeichen der Stützpunkte, nicht nur in Paderborn, sondern fast überall. Die Landgüter wurden von einem eigenen »Hausmeier« (Majordomus) verwaltet, unterstanden aber dem Pfalzvorsteher, etwa dem lokalen Bischof oder einem höheren königlichen Beamten, der das Sagen hatte, solange der Herrscher nicht vor Ort war. Die Hausmeier nutzten zwischenzeitlich die Pfalz auch selbst. Sie bezogen die Räume und sorgten für deren Instandhaltung. Kam der König, mussten sie ausziehen. Obendrein hatten die Pfalzvorsteher dann ihn und seinen Hofstaat zu versorgen.
Bei jeder Pfalz gab es dafür ein »Tafelgut«, einen Haupthof, an den die Bauern der kleineren Nebenhöfe ihre Güter abliefern mussten. Der Hofdienst umfasste etwa die tägliche Lieferung von zwei Portionen Brot, drei Pfund Wachs und 100 Liter Seife.
Oft aber konnte keine Pfalz allein die Anforderungen erfüllen – Historiker nehmen an, dass das Gefolge des Königs mehr als tausend Personen umfasste. Deswegen lieferten auch umliegende Pfalzen Nahrung und andere Verbrauchsgüter zu. So schickte etwa das benachbarte Mainz schwer beladene Transportkarren auf den Weg, wenn Karl der Große sich länger im nahen Ingelheim aufhielt. Weilte der Regent zu lange, waren Brot, Wachs und Seife irgendwann verbraucht. Dann blieb nur eins: Der König musste weiterziehen – zu einer anderen Pfalz, in einen anderen Teil des Reiches.
Aula der Macht
Karls eindrucksvolle Residenz in Ingelheim am Rhein
Von Ludger Bollen
Ein frühes Zentrum
Bereits vor Karl war das nahe Mainz gelegene Ingelheim
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