Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
eine bedeutende fränkische Siedlung und diente als einer der Königshöfe der merowingischen Herrscher. Während Karls Regentschaft begann der Ausbau zur eindrucksvollen Residenz. Drei Aufenthalte Karls in den Jahren 774, 787/788 und 807 sind belegt. Im Juni 788 festigte der König hier seine Herrschaft mit einer großen Reichsversammlung. Die Zusammenkunft stärkte die Bindungen zwischen Karl und seinen vielen Statthaltern und Vasallen.
Wer allerdings beschuldigt war, seinen Lehnspflichten nicht nachgekommen zu sein, erfuhr die Versammlung als Gerichtshof mit einem König als oberstem Richter. So wurde etwa Herzog Tassilo III. von Bayern, immerhin ein Vetter Karls, unter dem Vorwurf angeklagt, er habe sich einst der fränkischen Streitmacht unter Karls Vater Pippin auf einem der Feldzüge nicht angeschlossen. Tassilo verlor seinen Titel und wurde zum Tode verurteilt. Karl begnadigte ihn jedoch und verbannte ihn in ein Kloster.
Der Aufbau der Pfalz
Ein gewaltiger halbkreisförmiger Bau (Durchmesser: 89 Meter) umfasste nahezu die gesamte Breite der Anlage. Im Innern erstreckten sich sechs oder sieben Säle, die vom Hof aus über den bogenförmigen, überdachten Säulengang zugänglich waren. Durch das zentrale Haupthaus führte der östliche Eingang zur Pfalz, das »Heidesheimer Tor«. An der Nordseite schloss sich ein langgestreckter, gleichfalls mit einem Säulenhof geschmückter Gebäudetrakt an. Überreste eines lange Zeit als »Karlsbad« bezeichneten großen Wasserbassins werden von den Archäologen heute als Sammelbecken gedeutet, in dem das über Fernleitungen zur Pfalz geleitete Wasser zur Klärung aufgefangen wurde. Hinweise auf ein ausgeklügeltes System von Wasserleitungen entdeckten Forscher auch bei Ausgrabungen im Bereich der sechs Rundtürme, die sich über die Außenseite des großen Bogens verteilten.
Zur Zeit Karls des Großen bildete eine Kapelle mit drei Halbrundungen (Trikonchos) den sakralen Mittelpunkt des Bezirks. Im 10. Jahrhundert wurde ihr gegenüber ein größeres Gotteshaus erbaut, die heute noch genutzte Saalkirche. Die zur Westseite gelegene Königshalle stand für sich, war jedoch durch lange Hofmauern in den Gesamtkomplex eingebunden. Das halbrunde Kopfende der Halle, die Apsis, war gegenüber dem Hauptschiff erhöht. Hier thronte Karl und führte bei den Zusammenkünften den Vorsitz.
Der Innenhof der Pfalz wurde für alle Aufgaben der Bewirtschaftung genutzt. Während der Aufenthalte Karls musste auch das begleitende Ritterheer verköstigt werden, das vermutlich vor den Toren der Pfalz ein großes Zeltlager aufschlug. Höfe der ganzen Umgebung waren an der Aufgabe beteiligt und lieferten Nachschub an Getreide und Schlachtvieh.
Ein Ochse für den Hof
Die letzten 20 Jahre seines Lebens wurde Karl in Aachen sesshaft und baute die Stadt zur kaiserlichen Metropole aus. Das Experiment scheiterte auf hohem Niveau.
Von Annette Bruhns
Fast alles sprach gegen Aachen. Es lag nicht annähernd in der Mitte des riesigen Reichs. Verkehrstechnisch kreuzten sich hier zwar zwei alte Römerstraßen, in Nord-Süd-Richtung gen Heerlen oder Kornelimünster; die Ost-West-Route verband Lüttich und Köln. Doch für Schwertransporte von Baumaterialien wie Säulen oder Marmor gab es keinen schiffbaren Fluss. Obendrein regnete es auch noch besonders häufig am Nordrand von Eifel und Hohem Venn. Ausgerechnet diesen nassen Ort erkor Karl der Große zur Hauptstadt seines Imperiums. Warum traf der weitgereiste Feldherr und Regent diese irrational anmutende Entscheidung? Was brachte ihn überhaupt dazu, sich dauerhaft niederzulassen? Jahrzehntelang war Karl wie seine Vorgänger ein Reisekönig gewesen. Auch seine Nachfahren machten ihren Machtanspruch wieder von Ort zu Ort geltend, als Herrscher auf Dauerwanderschaft.
Ein Streifzug durch das karolingische Aachen beantwortet die Fragen keineswegs, er gibt sogar weitere Rätsel auf. Die Stadt hat Karls prächtigste Bauten beherbergt, einiges steht noch – und trotzdem machen die Überreste alles erst recht seltsam. Die Lage von Karls persönlichem Wohnort? Kennt keiner. Die Herkunft des berühmten Karlsthrons? Ist ungeklärt. Dass Karl in der Marienkirche, die den Thron beherbergt, beigesetzt wurde, gilt immerhin als bestbelegtes Faktum seiner Vita. Bloß: Wo lag das Grab?
Aachens Geschichte beginnt um Christi Geburt. »Aquae granni«, lateinisch für Wasser von Grannus, einem Heilsgott der Kelten, nannten die Siedler aus Rom angeblich den Ort. »Aquae«
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