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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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größten Nutzen aus seinen Kämpfen ziehen: künftiges Heil und die Hoffnung auf ewige Seligkeit. Landes- und Kirchenorganisation, «Reparations»- undReformmaßnahmen, Wohltat über Wohltat nach den Wertmaßstäben der Zeit. Keiner der älteren Karolinger hat ihretwegen Kriege geführt. Erst Karl verfolgte höhere Ziele. In Italien sorgte er, so gut er konnte, für den Frieden im Land und sicherte die Unabhängigkeit der römischen Kirche. In Südgallien und Nordspanien drängte er den Islam zurück. Der Überfall auf Baiern scheint mit päpstlicher Zustimmung erfolgt zu sein. Pannonien wurde dem Christentum zurückgewonnen. Was Sachsen betraf, so leisteten der Frankenkönig und seine Helfer bewußte und gezielte Kulturvermittlung in Regionen, die von der Hochzivilisation des Mittelmeerraumes noch kaum erfaßt waren. Literalität und methodisch kontrollierte Rationalität zogen mit dem Christentum in Länder, die bislang jeder Schriftlichkeit entrateten.
    Der König wünschte die Geistlichkeit an seiner Seite; von ihr ließ er sich vornehmlich beraten, wie die Inhalte seiner Kapitularien verdeutlichen. Er bot ihr einen Gabentausch größten Ausmaßes. Der Papst gemahnte den König frühzeitig an dieses Tauschgeschäft. Die siegreiche Macht des Himmelpförtners, die er, Hadrian, betend, mit erhobenen Armen, auf ihn herabflehen sollte, stärkte allgegenwärtig den König[ 183 ]. Als Gegengabe übertrug der Frankenkönig und Patricius der Römer dem Erben und Nachfolger St. Peters und der römischen Kirche weite Territorien und Patrimonien und gewährte seinen machtvollen Schutz. Dreihundert «Kyrie eleison» (
krieleyson
) habe der Papst tagtäglich, seitdem der Franke Rom verlassen habe, in allen stadtrömischen Kirchen und Diakonien singen lassen und Gott, den Herrn, gebeten «daß er euch Verzeihung für die Sünden, größte Freude des Glücks und vielfache Siege vom Himmel schenke» – ein Jubelgesang, der die gesamte Stadt erfüllte. So ließ Hadrian noch im Jahr 774 den jungen König wissen[ 184 ]. Karl ordnete im Gegenzug die gesamte Kirche seines Reiches auf Rom und den Papst zu. Er wünschte keinen kirchlichen Sonderweg der Franken, wie ihn etwa die Westgoten oder die Iren schon vor Jahrhunderten eingeschlagen hatten. Und dieser ‹Gabentausch› wirkte über Jahrhunderte fort, bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts.
    Karl hielt eigentümliche Rückschau auf seine Kriege, wie sie die «Reichsannalen» in ihrer von ihm zweifellos gebilligten Darstellungzu erkennen geben. Sie sollte die Legitimität seines Handelns bekunden. Sie schönte, deformierte, verschleierte, überging dafür nicht nur unliebsames Geschehen oder Rückschläge wie einst in Spanien im Jahr 778, wie angesichts der gescheiterten Ehe von Karls Tochter Rothrud (788) oder wie im Fall der Gewaltmaßnahmen gegen Tassilo von Baiern; sie überzeichnete und übersteigerte Erfolge wie etwa die Siege gegen die Sachsen vor 782. Ja, diese gefeierten Siege hatten die zuvor erlittenen Niederlagen zu verdecken: Der Sieg gegen die Sachsen die Niederlage in Spanien, der Sieg gegen Tassilo das Scheitern in Süditalien.
    Unabhängig freilich von dermaßen geschönter Darstellung zeichnete sich eine deutliche Herrschaftsverlagerung ab. Ruhte das karolingische Machtschwergewicht noch unter Pippin im Raum um Paris und Compiègne, so zeigen die Ausstell- und Empfängerorte von Karls Urkunden, daß es sich im Zuge der Sachsenkriege und der Eingliederung Baierns nach Norden und Osten verschoben hatte. Die Rheinlinie trat nun als Hauptachse hervor, Köln, Mainz, Worms, Frankfurt, Paderborn, vor allem aber Aachen rückten ins Zentrum[ 185 ].
    Lernte Karl aus seinen Kriegen? Aus Niederlagen und Siegen? Aus den erlittenen Rückschlägen? Mißtrauen war wohl angebracht gegenüber «Griechen» und «Sarazenen». Jedenfalls setzte der König in Spanien fortan eher auf Gewalt als auf Verträge und auch gegen Byzanz griff er erst zu den Waffen, bevor er sich neuerlich auf Verhandlungen einließ. Mußte die Härte der ersten Kriegsjahre gegen die Sachsen sich in Milde verkehren, um endgültig siegen zu können? Fürchtete der König und Kaiser, die Gewalt, die er rief, nicht bändigen zu können? Sie bedurfte eines Gegengewichts, das Karl in Kirche, Glauben und Wissenschaft zu finden hoffte, in der Festigung seiner eigenen Herrschaft nach den Normen damaligen Christentums.



1

Wirtschaften im frühen Mittelalter
    ie endlosen Kriege verschlangen ein Vermögen; die

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