Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Godescalc-Evangelistar, das unmittelbar von Karl und seiner Gemahlin Hildegard im Verlauf des Jahres 781 in Auftrag gegeben worden war[ 129 ] (Abb. II). Acht auch war die Zahl der Seligpreisungen (Mt 5,3–10), Sinnbild der Geretteten (1Petr 3,20 und 2Petr 2,5), Inbegriff des Neuen Bundes, Verheißung des ewigen Tages des Herrn. Acht Mühen (
curae
) führten nach dem zweiten Petrusbrief (1,5–10) den Gläubigen zur Erkenntnis Jesu Christi und schützten vor Sünde: «im Glauben Tugend, in der Tugend Erkenntnis, in der Erkenntnis Mäßigung, in der Mäßigung Geduld, in der Geduld Frömmigkeit, in der Frömmigkeit Bruderliebe, in der Bruderliebe die Liebe». Die Liebe aber besitzt nach Paulus 16 Eigenschaften(1Cor 13,4–8)[ 130 ]; sie war Gott, wie der Evangelist Johannes lehrte (1Joh.4,16). Jedes Element von Karls Tempelbau wies über sich hinaus, war endzeitlich getöntes, anagogisches Zeichen.
Zu solchen Botschaften tritt ein alter Hymnus des Breviers. Entstanden ist er vielleicht vor 700, vermutlich aber kurz vor dem Jahr 800; seine älteste Handschrift weist gleichfalls in diese Zeit. Manche Hymnologen vermuten westgotisch-spanischen Ursprung. Vermittelte Theodulf von Orléans den Text oder seine Thematik nach Aachen? Gesichert scheint nichts zu sein. Der Hymnus verwandte in seinen acht Strophen gleichfalls das Bild von den «lebendigen Steinen» und ihrem «Gefüge» in der Wand (
compago parietis
), das in Aachen zum «Gefüge des Friedens» (
compago pacis
) geworden war. Die ersten sechs Strophen kennen zudem zahlreiche eschatologische Anspielungen auf die Apokalypse, auf Jesaias, Daniel oder auf Gregors des Großen Ezechielkommentar, durchweg einschlägige Zeugnisse, die sich bestens zum Aachener Kuppelmosaik fügten[ 131 ].
Einerlei ob ursprünglich acht oder sechs Strophen, beide Zahlen kehren in der Aachener Kirche wieder. War dieser Hymnus, der zum Kirchweihfest gesungen wird, für ihre Weihe entstanden oder doch zu diesem Anlaß gesungen? Das Bild der «lebendigen Steine» begegnete in der Zeit um 800, soweit bekannt, nur in einem einzigen weiteren Gedicht Alkuins, des angelsächsischen Gelehrten am Hof Karls des Großen, freilich in einem völlig anderen und rein angelsächsischen Kontext[ 132 ]. So drängt sich die Verbindung des Hymnus mit der Aachener Pfalzkirche unmittelbar auf.
Der Hymnus beginnt[ 133 ]:
Urbs beata Jerusalem, dicta pacis visio,/Quae construitur in coelis vivis ex lapidibus
(vv. 1–2). Spätere Verse wenden sich Christus zu:
Angularis fundamentum lapis Christus missus est,/Qui compago parietis in utroque nectitur
(vv. 15–6). Die «lebendigen Steine»: das ist das himmlische Jerusalem; Grundstein und Verbund der Steine: das ist Christus. Eben diesen Gedanken sprach der Stiftervers der Aachener Pfalzkirche aus: War diese, seine Kirche tatsächlich für Karl über alle imperiale Bedeutung hinaus zugleich Sinnbild des himmlischen Jerusalem?Gleichsam Thronsaal des Erlösers? Das Patrozinienprogramm harmonierte mit dem Hymnus, insofern seine sechste Strophe, die wie eine Doxologie wirkt, auf die Trinität verweist:
Omnis illa Deo sacra et dilecta civitas, … Trinum Deum unicumque cum favore praedicat.
Der Vers verkündet den dreieinigen Gott, Vater, Sohn und den von beiden ausgehenden Heiligen Geist. Inmitten des Aachener Oktogons aber stand ein der Trinität geweihter Altar[ 134 ].
41 Das Kuppelmosaik der Aachener Marienkirche nach Giovanni Giustino C IAMPINI , Vetera Monimenta 1 , Rom 1690
Dieser Bau war über alle sinnliche Zeichenhaftigkeit hinaus raum- und bildgewordene Verheißung, ein großes Gebet, ein Bekenntnis und ein persönlicher Fürstenspiegel obendrein. Seine Proportionen folgten dem apokalyptischen Maß von 144 Fuß. Das Kuppelbild über zweimal sechzehn Säulen gespannt – im 19. Jahrhundert erneuert – vergegenwärtigte die
Maiestas Domini
, umgeben von den 24 Ältesten, ein apokalyptisches Motiv: «Und siehe, ein Thron war gesetzt im Himmel und auf dem Thron saß einer; und der da saß, war anzusehen wie Jaspis und Sarder … Und um den Thron waren 24 Throne und auf den Thronen saßen 24 Älteste» (Apc 4,2–4)[ 135 ].
Einhard, der von der Schönheit der Kirche schwelgte, erwähnte die (antiken) Säulen und den Marmor, sprach von Gold und Silber, von den Lichter(krone)n und den ehernen Arbeiten der Tore und Gitter (wofür er vielleicht selbst zuständig gewesen war), schwiegsich aber aus über den Bildschmuck der Kirche und dessen theologisches
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