Karlas Umweg: Roman (German Edition)
mal zu Potte kommen! In einer halben Stunde kommt Sonja Ritter zum Aufzeichnungstermin! Also bitte!«
Es war klar, dass wir als unscheinbare, kurzfristig zusammengewürfelte Operettengruppe nicht Sonja Ritter, die weltberühmte Schlagersängerin, warten lassen durften. Wir verzichteten also darauf, unsere eigene Musikalität in die Sendung einbringen zu wollen, sondern beschränkten uns darauf, rein playbackmäßig den Mund auf und zu zu machen, wie sich das für wahre Profis vor der Kamera gehört. Frau Pfefferkorn hätte mit Sicherheit darauf bestanden, selber singen zu dürfen, und alle Donnerstags-Zuschauer hätten ihr schrilles Timbre schonungslos ertragen müssen, aber Marie ist auf ihre Weise ganz bewundernswert flexibel und spontan. Sie war nach einem kurzen nervösen Lachen völlig damit einverstanden, zur Stimme der Operettensängerin Annemarie Blauhügel den Mund auf und zu zu machen.
Clemens Matulka hatte übrigens als Einziger gewusst, dass es sich um eine reine Playbackmaßnahme handelte, aber er hatte in der Eile völlig vergessen, uns darüber zu informieren. Allein Harald Gernhaber kämpfte mit sich, ob er diese goldfarbene Pappgeige an die Wange drücken solle, aber Marie schenkte ihm einen ihrer unvergesslichen Blicke und so überwand er tapfer seine künstlerischen Bedenken. Mit einem wehmütigen Blick auf seine Stradivari, die optisch mit der goldenen Pappgeige nicht mithalten konnte, trennte er sich von seinem musikalisch tief empfundenen und bis ins äußerste Detail durchgeplanten Improvisato, das er eigens für Marie fiedeln hatte wollen, und bewegte den Bogen gehorsam auf und nieder zu Klängen, die aus dem Lautsprecher kamen und nichts mit seiner Liebe für Marie zu tun hatten. Marie bewegte sich und ihre Lippen ganz hervorragend zur Stimme von Annemarie Blauhügel, und Clemens Matulka schwänzelte um sie herum, himmelte sie an und bewegte dazu den Mund zur Stimme von Herbert Blei, was ihm wohl gefiel, denn aus Clemens Matulkas Munde kommen normalerweise nicht annähernd so satte tenorale Klänge; es war absolut natürlich und ungekünstelt, völlig spontan und alles in allem total mitreißend! Ich hatte allerdings die schwierige Aufgabe, einen Sechzig-Mann-Chor zu ersetzen, der im Refrain immer sang: »Er ist der Husar, hurra, er ist der Husar!« Wie versprochen stand ich vor einer Windmaschine, und ein paar beängstigend wirkende Propeller sorgten dafür, dass mir mein blaues Beinkleid nur so um die Ohren flog, wenn der Refrain ertönte. Ich wippte begeistert mit den Hüften und schrie: »Er ist der Husar, hurra, er ist der Husar!«
Clemens Matulka, der ganz zweifellos eben jene Rolle des Husars gestaltete, sollte innerhalb der zweieinhalb Minuten, die unser musikalischer Beitrag dauerte, in Maries Armen sterben, sodass die letzte Strophe unbedingt lauten musste: »Er WAR der Husar, hurra, er WAR der Husar!«
Herr Wolke beobachtete unseren Probedurchlauf und war zufrieden.
»In Ordnung, bitte Ruhe, Aufnahme!«, rief er, und schon blendeten uns die Scheinwerfer und die köstliche Musik erschallte aus unsichtbaren Lautsprechern von allen Seiten.
Marie legte sich ins Zeug, tänzelte und wackelte mit den Hüften, als Annemarie Blauhügel die erste Strophe sang: »So ein Husar in schmucker Tracht, die Mädels schon ganz kirre macht! Rote Hosen, Schnurrbart frisch gewichst, Sakko schief und Augen ganz verflixt!« An dieser Stelle kam Clemens Matulka groß ins Bild, und einige Millionen Fernsehzuschauer werden morgen live miterleben, wie er versucht, seinen wässrigen Augen unter den gezupften Augenbrauen einen ganz verflixten Ausdruck der Männlichkeit zu verleihen! Gleichzeitig bearbeitet Harald Gernhaber die goldene Pappgeige, dass ihm die Schweißtropfen auf der Stirn stehen und die Zigeunertroddeln an seinem Kostüm hektisch umeinander wirbeln.
Genauso hat das der Regisseur beabsichtigt, genau so! Großartig! Beim Refrain: »Er ist ein Husar, HURRA, er ist ein Husar!«, wusste ich, dass nun meine Sendeminute geschlagen hatte, und tanzte wüst durch den Nebel, der meine Waden umhüllte. Papa und Mama werden von ihren Fernsehsesseln zwischen der Buntwäsche aufspringen, wenn sie das sehen! Sie haben es ja gewusst, werden sie einander versichern. Dass ich in Berlin Karriere mache.
Inzwischen starb Clemens Matulka durch einen Paukenschlag vom Band und Harald Gernhaber entlockte seiner goldenen Pappgeige augenblicklich Klänge in Moll, wobei auch er leidend das Gesicht verzog und seine
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