Karlas Umweg: Roman (German Edition)
anders gewöhnt«, sagte der Regieassistent, »dann kommen Sie vor die Windmaschine.«
»Wie Marylin Monroe auf dem Entlüftungsschacht?«, fragte ich ungläubig. Er lachte. Er führte mich durch sehr dunkle, sehr verstaubte Flure und Gänge, bis wir auf einer Plattform angelangt waren, die in grelles Scheinwerferlicht getaucht und von Glühbirnen jeglicher Farbe umgeben war.
»Backgroundsängerin ist bereit!«, rief er in das Dunkel hinein und verschwand. Ich blieb hilflos stehen und sah mich um. Der Saal war überraschend klein, höchstens fünfzig Zuschauer fanden hier Platz, aber die Kulisse kam mir sehr bekannt vor: »Der große Scherz« stand überall geschrieben, und ich erinnerte mich an meine Kindheit, in der jeder zweite Donnerstag im Monat dieser Sendung gewidmet war.
Mama und Papa haben ihren Fernseher ja im Wäschekeller stehen, weil sie so ein profanes Ding nicht im Wohnzimmer haben wollen. Deshalb habe ich auch einen ganz erheblichen Teil meiner Jugend im Wäschekeller verbracht, so auch jeden zweiten Donnerstag im Monat, wo wir zwischen feuchten Bettlaken und Papas Oberhemden, die auf der Leine hingen, »Der große Scherz« mit Tim Wolke geguckt haben.
Nun stand ich also einsam und geblendet mitten in der leeren, verwaisten Kulisse dieser meiner Kindheitsdonnerstage. Aus dem Dunkel ertönte eine Stimme: »Wen haben wir denn da?« Ich wusste nicht, wem die Frage galt, wohl aber, dass es die mir bestens bekannte Stimme von Tim Wolke persönlich war! Weil niemand antwortete, fragte ich: »Sprechen Sie mit mir?«
»Jaha!«, rief fröhlich Tim Wolke aus dem Nichts. Ich grinste erfreut über meine unerwartet private Zusammenkunft mit einem der beliebtesten Showmaster in diesem unserem Lande und rief:
»Karla Umweg! Freue mich, Sie kennenzulernen!«
»Ganz meinerseits, Fräulein Umweg!« Die Stimme näherte sich, und da stand er vor mir und reichte mir die Hand! Ein sehr kräftiger, großer Mann mit warmem, festem Händedruck.
Ich war tief beeindruckt, besonders, weil er meinen Namen ausgesprochen hatte! Schade, dass diese unvergessliche Szene nicht live auf Sendung war! Was wären Papa und Mama doch stolz gewesen!
Zu gern hätte ich Herrn Wolke die Sache mit dem Wäschekeller erzählt, doch Herr Wolke war verständlicherweise sehr an einem raschen Ablauf der Aufzeichnung interessiert.
Da tauchten aber auch schon die beiden Herren Operettenstars auf, frisch geschminkt und toupiert, und machten einen etwas verunsicherten Eindruck. Die beiden Herren drückten ebenfalls Herrn Wolke die Hand und machten artige Diener, wie man das eben macht, wenn man von prominenten Menschen die Hand gedrückt bekommt.
»Sind Sie jetzt vollständig, können wir Sie postieren?«, fragte Herr Wolke leicht gestresst und lugte unauffällig auf seine Armbanduhr.
»Die Hauptperson kommt noch«, strahlte Clemens Matulka und kicherte freudig erregt.
»Na gut, wir können ja schon mal anfangen!«, rief der Showmaster ins Dunkel und sofort stürmten einige Menschen herbei, die auffallend ungeschminkt und auf abstoßende Weise normal gekleidet waren.
»Haben Sie eine Geige dabei?«, wurde Herr Gernhaber gefragt.
»Natürlich! Ich spiele nur auf meiner Stradivari!«, entrüstete sich dieser und hielt immer noch seine Hände mit den Fingern nach oben in die Luft, damit sich kein Staubkorn ungefragt darauf niederließe.
»Willi?!«, brüllte jemand. »Er hat selbst eine dabei!«
»Interessiert nicht!«, kam die Antwort aus dem Dunkeln.
»Er soll auf jeden Fall die Goldene nehmen!«
Jemand brachte eine kitschgoldene Geigenattrappe und überreichte sie Herrn Gernhaber. Dessen frisch geschminktes, übertünchtes Gesicht fiel in sich zusammen. Entrüstet stieß er hervor: »Sie glauben doch nicht, dass ich darauf spielen werde …«
Herr Wolke lachte jovial. »Aber nein, mein Lieber! Darauf können selbst Sie vermutlich nur Katzenmusik machen! Unsere Zuschauer fallen immer wieder darauf rein! Wir spielen hier alles vom Band. Sie sollen nur so tun als ob!«
In diesem Moment erschien Marie. Sie sah umwerfend aus! Ich freute mich für Herrn Wolke, dass er einmal eine solche Schönheit in seiner großen Scherzsendung hatte.
»Ich bin immer noch nicht vernünftig eingesungen!«, sagte Marie bedauernd und klapperte mit ihren vier Zentimeter langen künstlichen Wimpern.
»Man hört es in der Sendung sowieso nicht. Sie können beruhigt sein!«, sagte Herr Wolke und gab auch Marie jovial die Hand. »So, liebe Leute, nun lasst uns
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