Karlas Umweg: Roman (German Edition)
entgegnete ich heiser. »Du bist ein begabter Schüler!« Das war gelogen, aber ich wollte ihn auf keinen Fall in seinem sportlichen Ehrgeiz kränken. Wo Willem sowieso so viel einstecken muss.
»Na, na«, erwiderte Willem, »ich weiß, dass ich im Tennis eine Niete bin. Aber es macht mir trotzdem Spaß – mit dir!« Mein Herz wollte sich überschlagen vor Glück. Jetzt? JETZT!?!
»Wie war die Reise?«, fragte Willem.
»Schön«, sagte ich matt.
»Hat Marie gut gesungen?«
»Phantastisch. Ganz toll, wie immer!«
»Und … sonst? War sie brav?«
Ich überlegte keine Sekunde. »Klar«, beteuerte ich.
»Bist ein ganz lieber Kerl!«, sagte er zu mir, als er sich erhob und seine Flasche artig zum Automaten zurücktrug. »Ich bleibe noch hier und arbeite. Du kannst doch mit der U-Bahn nach Hause fahren? Sag Marie, dass ich zum Abendessen komme und dass ich mich auf sie freue. Tschüs, Karla!« Damit drehte der Halbgott in Weiß mir den Rücken zu und verschwand pfeifend mit seinem Tennisschläger aus der Kantine. Was habe ich nur wieder falsch gemacht? Außerdem, wieso bin ich ein Kerl?
Im Flugzeug nach Salzburg. Marie liest wieder die »Femme fatale« und möchte im Moment nicht gestört werden. Sie macht gerade den Test »Passen Sie zu Ihrem Partner?«, und ich finde es verständlich, dass sie sich nun auf die achtfache Beantwortung der Testfragen konzentrieren muss. Die arme Marie. Sie hat wirklich Stress. Wir waren ja nur wenige Tage zu Hause, und statt sich jetzt in Ruhe auf den Wettbewerb und ihre Abschlussarie im Fernsehen zu konzentrieren, musste Marie sich mit den üblichen Alltäglichkeiten einer völlig unterprivilegierten Hausfrau abgeben. Frau Perl wollte wissen, ob sie eine Vollwertkostwoche im Hause veranstalten dürfe, Frau Krotoschyin wollte ausgerechnet während unserer kurzen Anwesenheit einen freien Nachmittag, Willem schleppte Marie trotz heftiger Proteste und Tränenausbrüche ihrerseits zum Juwelier, damit sie sich ein passendes Collier aussuchte, das sie bei ihrem Fernsehauftritt tragen kann. Letzteres darf man Willem eigentlich nicht übel nehmen, er hat es sicherlich gut gemeint. Trotzdem war es auf rührende, typisch männliche Weise ungeschickt, Marie jetzt mit solchen Lappalien zu belästigen!
Maximilian war unbegreiflicherweise weinerlich und gereizt, nur weil er die fremde, schwarzhaarige Frau, die immer so viel Wirbel verbreitet, nicht mehr gewöhnt war. Zu allem Überfluss stand jeden Morgen pünktlich um neun Harald Gernhaber an der verabredeten Straßenecke bei den Altpapiercontainern, um in beschaulicher Zweisamkeit mit Marie die übliche Runde in den städtischen Grünanlagen zu drehen. In dieser Hinsicht bewundere ich Marie!! Obwohl sie sicherlich andere Dinge im Kopf hat, bewies sie Geduld und Ausdauer mit Harald. Gegen Abend hastete sie immer in die Stadt, um ihre Situation mit Dr. Holzapfel zu analysieren, was wiederum zeitlich begrenzt wurde durch tägliches Proben mit Edwin Echtwein, der unermüdlich und stetig mit ihr die Partie der Carmen einstudierte. Irgendwie schaffte Marie es sogar noch, auch Heyko Zurlinde täglich zu treffen, um mit ihm die Wettbewerbs-Angelegenheiten zu besprechen. Niemals kam sie vor zwei Uhr nachts nach Hause, wo dann auch noch Willem seinen Ehepflichten unbedingt nachkommen wollte. Arme Marie. Ich wollte, ich könnte sie etwas entlasten.
Wir sind im Hotel Sacher mit Blick auf die Festung und die Salzbachbrücke, darunter tun wir es ja nicht, weil wir zwei Marken-Frauen erster Klasse sind. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals in anderen Herbergen als solchen Nobel-Hotels übernachtet zu haben. War das wirklich ich, die frierend und bescheiden zwischen nassen Mänteln in der Übeschlange des Konservatoriums saß, nur um zwei lächerliche Stunden lang auf einem alten verstimmten Kleinklavier im vierten Stock eines fensterlosen Übehauses Etüden spielen zu dürfen? Mein Gott, was war ich für eine anspruchslose, durchschnittliche Mittelschichtpomeranze! Heute verfüge ich über das hintere Zimmer einer Suite des besten Hotels am Platze und tanke das Leben so wie es ist und sein sollte aus erster Quelle! Marie nimmt soeben ein Bad. Sie singt übrigens nicht in der Badewanne. Profis singen nicht, wenn sie baden, sagt Marie.
Sie erzählte mir erfreut, dass ihr Stress sich vermutlich kaum mindern wird: in ihrem unmittelbaren Gefolge befinden sich nämlich so ziemlich alle ihre Liebhaber.
Zurlinde und Sterz sitzen in der Jury, Echtwein ist der
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