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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Stimme wieder. Das Treppengeländer drohte aus den Fugen zu geraten, als Sterz sich suchend darüber beugte. Endlich mochte Herr Kammersänger Sterz sich nicht mehr mit seinem Echo zufrieden geben und geruhte, sich meiner Wenigkeit zuzuwenden. »Wissen Sie, wo dieser Echtwein ist?«, dröhnte er mich an. Ich schätze, er erinnerte sich nicht daran, mir jemals im Leben begegnet zu sein.
    Stumm und eingeschüchtert schüttelte ich den Kopf.
    »Aber Sie stehen doch hier schon eine ganze Weile«, intonierte er drohend. »Sie müssen ihn doch gesehen haben!« Zehen haben – Zehen haben …, schallte das Echo aus dem Treppenhaus.
    »Weggegangen«, war das Einzige, was ich in meiner Verwirrtheit auszustoßen imstande war.
    »Kommt er wieder?«, bollerte Sterz mit rabenschwarzem Timbre. Ich zuckte die Schultern. »Vielleicht … morgen irgendwann …« Sterz bückte sich, um wieder durch den Türrahmen in das Innere zu gelangen. Hinter sich ließ er die Tür zuscheppern. Ohne größere Anstrengung konnte ich verstehen, was drinnen gesprochen wurde.
    »Da draußen steht die bescheuerte Kleine, die immer bei der Otten ist, und sie behauptet, der Echtwein wäre weg und käme erst morgen wieder.«
    »Ja, aber das ist doch …«, sagte eine wesentlich leisere Männerstimme, also vermutlich die von Herrn Paterne. Dann hörte ich die Stimme von Prallgunde, Siegfrieds Weib, staunend, aber nicht piano sagen: »Die Kleine von der Otten? Die kenne ich! Die kann Klavier spielen! Holt sie rein!« Noch einmal versuchte ich, mich in Luft aufzulösen oder einfach zu Stein zu werden, aber da kam der Riese schon wieder und sagte, wobei er einen seiner rechten Backenzähne zynisch grinsend entblößte: »Ich höre, Sie können Klavier spielen?« Mit diesen Worten nahm er mich am Arm und schob mich vor sich her.
    »Eigentlich nicht besonders gut«, versuchte ich mir Gehör zu verschaffen, aber da saß ich auch schon auf dem Klavierschemel. Sieglinde knallte mir die Noten vor die Nase, genau wie damals bei Frau Pfefferkorn. Diesmal hatte sie keine Wanderschuhe an, sondern dunkelviolette U-Boote mit Schleife vorne drauf, sehr apart. Den Oberkörper hatte sie in ein zitronengelbes Zelt gezwängt, welches sehr eindrucksvoll ihren üppigen Busen umgab, und darunter steckte sie in schwarzen Hosen, schätzungsweise Größe 56. Ausführlicher konnte ich sie leider nicht betrachten, denn schon sollte ich mit dem Spielen beginnen. Glücklicherweise ist die Habanera wirklich nicht schwer, und die d-moll-Akkorde am Anfang kann jedes Kind. Ich spielte sie ohne Fehler und baute sogar noch die Echtweinschen Raffinessen ein.
    Sieglinde atmete sehr gründlich ein, wie sie das damals auf dem Pfefferkornschen Teppich gelernt hatte, und schmetterte dann los, dass sich die Balken bogen. Zwischendurch war ich mir nicht sicher, ob ich noch spielte oder nur lautlos die Tasten einer Attrappe runterdrückte, wie damals die orthodoxe Griechin im Studentenheim, so sehr gellten mir ihre Töne um die Ohren. Es war eine außerordentlich überernährte, wuchtige und fett timbrierte Carmen, die da von leerem Gestühl widerhallte, und Siegmund, der Gatte, lümmelte zufrieden in der fünften Reihe und kratzte sich im Hemdausschnitt herum, während Herr Paterne ruhelos im Saal herum wanderte, wahrscheinlich, weil er den Krach sonst nicht ertragen hätte.
    Es kommt nun wirklich darauf an, ob Paterne wirtschaftlich rechnet. Für dreimal so viel Masse und fünfmal so viel Lautstärke auf der Bühne muss er rein theoretisch genauso viel Gage zahlen wie für Marie, die tatsächlich nicht besonders laut singen kann. Anders gesehen: Paterne kann wohl nicht umhin, sein Orchester gründlich zu verstärken, wenn es überhaupt noch eine Chance haben soll, aus dem Graben heraus vernommen zu werden. Im Endeffekt wird Sieglinde mit Sicherheit teurer kommen, da werden die Pariser Steuerzahler sich aber bedanken! Außerdem: welcher Tenor oder Bass will es denn mit Sieglinde aufnehmen? Nicht nur stimmlich, meine ich, sondern auch rein von der Darstellung her. Es wirkt einfach nicht besonders glaubhaft, diese Matrone blind vor Liebe zu umarmen und wegen ihr sogar einen Eifersuchtsmord zu begehen. Da tippen sich die Opernfreunde doch an die Stirn!
    Als die fette Sieglinde ausgeschnaubt hatte und das leere Gestühl noch unter ihren letzten Tönen nachvibrierte, sagte Paterne, seine Wanderung unterbrechend: »Exzellent, Madame!« Warum er dabei mich anschaute, weiß ich nicht. Siegmund Sterz nickte

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