Karlas Umweg: Roman (German Edition)
als diesen lappigen Edwin, diesen schulterlosen Lutscher mit hängender Fliege und hängenden Mundwinkeln, der zudem verheiratet ist und nur ein armseliger Klavierspieler, der einen gebrauchten grauen Kastenwagen fährt und darin alte Cembalos transportiert, und kein BMW Cabrio, aus dem er coole Sporttaschen fischt. Wie kann sie nur!
Um allen Missverständnissen von vorneherein vorzubeugen, schlug ich vor, dass sie wegen der Kinderfrau doch eine Annonce in die Zeitung setzen solle!
»Klar«, sagte Marie leichthin. »Das kann Willem machen. Der kennt den Verleger der Berliner Tagespost.«
Diese Marie scheint überhaupt keine Probleme zu haben, jedenfalls keine, mit denen sich Otto Normalbürger so herumzuschlagen pflegt. Dafür macht sie sich eigene.
Bevor ich mich verabschiedete, sagte Marie mir noch, dass Echtwein mich an Stelle von Matthäus in seine Pianistenklasse aufnehmen werde. Dann könnte ich unterwegs bei Echtwein Unterricht bekommen, ohne dass ich mein Studium vernachlässigen müsse. Ist das nicht super?! Jetzt bin ich eine Echtwein-Schülerin! Ich bin schon ganz oben!
Von Matthäus habe ich dann später im Konservatorium endlich erfahren, wer Maximilian von Otten ist, beziehungsweise war: ein steinreicher Vanille-Eis-Fabrikant. Ganz Deutschland schwört auf sein sahneweiches Eis. »Kennze dat Vanille-Eis denn nich? Is doch dat eigentliche Waazeichen vonne Stadt!« Der Werbeslogan sei doch in aller Munde! »Von-Otten-Eis macht Kenner heiß!« und: »Gourmets letzter Wille: Von-Otten-Vanille!«
Kannte ich wirklich nicht, die Sprüche. Matthäus sagte, das sei eine schlimme Bildungslücke. Vor einigen Wochen sei in einer Illustrierten dazu aufgerufen worden, neue Werbereime für Von-Otten-Eis zu dichten. Der erste Preis war eine Reise nach Paris. Matthäus hat gedichtet: »Von Ottens Vanille-Bomben sind Gift für meine Plomben, doch hab ich’s in der Schnauze, ist es auch Gift für meine Plauze!« Sie hätten seine Einsendung aber nicht preisgekrönt, erstaunlicherweise, bedauerte er, leider. Er habe sich bisher immer für einen begabten Dichter gehalten. Deshalb will er jetzt, wo er nicht mehr Pianist wird, voll ins Werbegeschäft einsteigen, sagt er. Das würde seinen Talenten echt viel mehr gerecht werden als die ewige Klavier-Klimperei. Und damit würde er echt mal viel Geld machen. Vielleicht würde er aber auch mal ein Musical komponieren, nicht so ‘ne Scheiß-Kitsch-Geschichte wie Weißes Rössl und Wolfgangsee und so, sondern was Geiles, was auf der Reeperbahn spielt. Wo nur Nutten und Zuhälter und Säufer und Zocker drin vorkommen. Und der Schauplatz ist ‘ne Würstchenbude. Er ist echt ein netter Kerl, der Matthäus.
Mir ist ja doch immer ein bisschen schlecht beim Fliegen. Der Imbiss, den die Stewardess mir eben gebracht hat, erinnert mich an Essen drei: matschiges Weißbrot mit so einer fettigen braunen Paste drauf. Marie und Edwin sitzen am Fenster, zwischen uns ist der Gang. So kann ich ungestört schreiben. Edwin hat gerade zum dritten Mal Champagner bestellt. Die beiden kichern und turteln herum, als gingen sie auf Hochzeitsreise. Ich muss sie beaufsichtigen. Willem war überraschenderweise am Flughafen, mit Maximilian auf dem Arm. Edwin hat sich am Ticketschalter herumgedrückt und so getan, als gehörte er gar nicht dazu. Ich wusste auch nicht, zu wem ich mich gesellen sollte, zu der glücklichen Familie, die sich mit vielen Umarmungen verabschiedete, oder zu meinem Klavierprofessor, der mich irgendwie gar nicht beachtet. Ich stand verlegen zwischen den beiden Parteien und habe auf meinen Koffer geguckt. Wie bin ich da nur rein geraten? Ich will doch Pianistin werden. Papa sagt, ich solle mich nicht abbringen lassen von meinem großen Ziel und üben, üben, üben. Und sonst gar nichts. Wenn der wüsste, dass ich jetzt im Flugzeug sitze und Olivenpaste auf Weißbrot verspeise! Dann würde er seine großzügige monatliche Unterstützung sofort einstellen. Auch Mama hätte keinerlei Verständnis für meine Eskapaden. Keinerlei.
Willem kam am Abfertigungsschalter zu mir und sagte: »Passen Sie gut auf meine Frau auf, Karla!«
Ich fand es rührend, dass Willem mich Karla nannte, und überhaupt wollten mir die Tränen kommen. Ich hab den Mann auf Anhieb ins Herz geschlossen, warum, weiß ich auch nicht.
»Geht klar«, habe ich gesagt, aber natürlich geht nichts klar. Ich werde mir reichlich überflüssig vorkommen auf dieser Reise. »Wer bleibt denn jetzt bei Maximilian?«, habe
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