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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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ihn. Wir gingen in so ein gutbürgerliches Restaurant, wo vorne am runden Stammtisch der Männergesangsverein Bier trinkt und weiter hinten die Leute ihr Abendessen einnehmen. Marie sah umwerfend aus, selbst in Jeans und Pulli. Alle Leute guckten hinter ihr her. Es hingen Hirschgeweihe an den Wänden und Bilder von toten blutenden Gänsen und von bissigen Kötern, die mit hängender Zunge durchs hohe Gras hetzen, um Hasenkadaver zu apportieren. Ich fragte Marie, ob es ihr nun wieder gut gehe. »Es geht mir blendend!«, strahlte Marie und bestellte mit lauter Stimme eine Flasche Champagner. Das irritierte nicht nur den dicken Wirt, sondern auch den gesamten Männergesangsverein. Champagner wird hier vielleicht nicht so häufig bestellt.
    »Ist das nicht ein bisschen zu teuer?«, fragte ich.
    »Aber nein, den setzt Edwin von der Steuer ab!«, frohlockte Marie.
    »Was gibt es denn zu feiern?«, fragte ich Marie, als wir das Essen bestellt hatten.
    »Das Leben!«, strahlte Marie. Dann erzählte sie mir, dass auf dem Empfang neulich in der schwäbischen Kleinstadt am Neckar ein Mann gewesen sei, der Marie eindeutige Avancen gemacht habe. Ein Generalmusikdirektor aus Fulda, der sie im Konzert gehört – und vor allen Dingen gesehen hatte. Ich fragte Marie, ob sie ähnlich für diesen Mann empfinden würde wie er für sie, und sie antwortete nicht, sondern küsste nur ihr Champagnerglas.
    Schließlich verriet mir Marie, glücklich kichernd, er sei Generalmusikdirektor und hieße mit Vornamen Robert und hätte sie eingeladen, bei ihm ein Hauskonzert zu geben. Er habe ein großes Anwesen mit einem Goldfischteich und einem Tennisplatz.
    Etwas erstaunt fragte ich, was denn mit ihren heftigen Gefühlen für Edwin sei, aber sie winkte nur ab und machte »ph!«, und selbst dieses »ph!« war noch voll korrekt im Stimmsitz – etwa auf dem zweigestrichenen d. Es hätte eine Arie daraus werden können.
    Ich brachte das Thema aus purer Neugier auf Willem. Willem deshalb, weil ich den Mann echt gut leiden kann. Ob sie sich schon bei ihm gemeldet hätte.
    »Nein, warum?«
    »Willst du denn nicht wissen, wie es Maximilian geht?«
    »Dem wird es schon gut gehen bei Willem.«
    »Hast du denn keine Sehnsucht nach deinem Baby?«
    »Wieso? Ich bin auf Konzerttournee und ich konzentriere mich voll auf meine Aufgabe!«
    »Ach, ich dachte nur so«, erwiderte ich kleinlaut. »In Romanen und Filmen haben Mütter immer Sehnsucht nach ihren Kleinkindern.«
    »Ich definiere mich über mich und meine Kunst, nicht über meinen Mann oder mein Kind«, ließ Marie mich wissen. »Das tun die Hausfrauen aus Wanne-Eickel und deshalb ist diese Welt auch so schrecklich spießig.« Sie deutete an, sich übergeben zu müssen.
    »Liebst du Willem eigentlich nicht?«, fragte ich mit klopfendem Herzen.
    »Doch, irgendwie liebe ich ihn auch«, sagte Marie.
    Mir sank das Herz in die Hose.

Die letzten Blätter fegen nasskalt von den Bäumen und ich sehne mich nach einem warmen Zuhause, einer Wärmflasche und einer Kuscheldecke. Stattdessen sitzen Echtwein und ich in einem zugigen Bahnhofsrestaurant und warten auf Marie. Sie weilt wohl immer noch bei dem Generalmusikdirektor aus Fulda. Echtwein ist die Übellaune in Person. Mein zweiter Pfefferminztee reißt ein ziemliches Loch in meine Reisekasse.
    Gestern war das Konzert in der Wandelhalle eines Kurortes. Es war mehr ein Open-Air-Festival, weil alle Leute, die in der Wandelhalle wandelten, auch mal zehn Minuten bei Marie stehen blieben und erfreut mit den Köpfen wackelten. Draußen goss es in Strömen und der Sturm peitschte die kahlen Äste gegen das gläserne Wandelhallendach. Die schwarzgrauen Wolken jagten über unseren Köpfen, als Marie ihre Lieder von Liebe und Frühling sang. Das war irgendwie ein Reinfall, und ich glaube, die Organisation war nicht gut. Wie konnte man Marie singen lassen, wenn nebenan lautstark Kegel umgesäbelt wurden und Pensionäre in Triumphgeschrei ausbrachen?
    Marie war vollkommen fertig vor Aufregung, nachdem sie Ententeich-Robert erblickt hatte. Sie konnte ja Edwin nichts davon sagen, und so hat sie es mir in der Pause diskret mitgeteilt, wobei sie glücklich kicherte und rote Flecken am Hals bekam: »Er ist da!!«
    »Wer?«
    »Robert! Der Generalmusikdirektor!«
    In der zweiten Halbzeit habe ich ihn dann entdeckt: Er sieht aus wie ein Realschullehrer für Erdkunde und Geschichte im Ruhestand. Wenig Haare, jedoch grau meliert der verbliebene Rest, den er sich vom linken Ohr über

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