Karlas Umweg: Roman (German Edition)
die Glatze bis zum rechten Ohr gekämmt hatte. Die Schuhe hatten braune Bommel, höchstens Größe 38. Ein interessanter Mann, ohne Zweifel. Unerfreulich war nur, dass dieser Robert Marie nach dem Konzert rote Rosen in die Garderobe brachte und sie dann mit seinem Ferrari-Cabrio »nach Hause« fuhr. Wir hatten darunter verstanden, dass er sie ins Hotel bringt, aber da ist sie bis heute Morgen nicht aufgetaucht. Ihr Bett war unbenutzt und ihr Abendkleid hing noch nicht wieder im Schrank. Nun sitzen Edwin und ich ziemlich verloren im Bahnhofsrestaurant. Edwin trinkt schon den vierten Jägermeister. Ich mache mir Sorgen um Marie. Sie ist so flatterhaft! Sie wird doch diesem kleinwüchsigen Generalmusikrobert nicht verfallen sein?! Sie hat Mann und Kind zu Hause! Und ich hab die Verantwortung! Auch Echtwein tut mir leid. So fertig wie der heute Morgen ist, würde er mir glatt eine Klavierstunde geben, falls so ein Kasten im Bahnhof aufzutreiben wäre. Aber er trinkt einen Jägermeister nach dem anderen und starrt vor sich hin. Ich denke, ich sollte mich etwas mit ihm unterhalten. Der Mann hat ja sonst niemanden.
Marie ist aufgetaucht, am Arm von Robert, dem Generalzwerg. Ihre Augen leuchteten, ihre Haare hingen wirr und sie hatte immer noch das Abendkleid von gestern an. Allerdings hatte der Robin Hood der Kleinwüchsigen ihr seine Lodenjoppe geliehen, von edlem Garn und mit lindgrünem Kragen. Er selbst trug einen weiten Mantel und einen albernen Jägerhut mit Gamsbart dran. Wahrscheinlich braucht er solcherlei Zierrat am Kopf, um von der jämmerlichen Leere in und auf demselben abzulenken. Er brachte sie zum Zug, als wäre es absolut selbstverständlich. Edwin und ich standen wie begossene Pudel auf dem Bahnsteig und beobachteten voller Eifersucht die Szene. Ich schleppte zwei Koffer, Maries und meinen. Beim Einpacken von Maries Sachen heute Morgen konnte ich es mir nicht verkneifen, dies oder jenes Dessous von Marie einmal vor mich zu halten. Mir steht so was natürlich nicht. Matthäus würde sich kaputtlachen! Karla Breitarsch in einem schwarzen Geilmacher von der Vanille-Königin! Ich habe es schnell in den Koffer gelegt. Meine Unterwäsche ist weiß oder hautfarben und aus dem Einkaufszentrum daheim, natürlich heruntergesetzt. Mama sagt, Unterwäsche muss wärmen und darf in der Kochwäsche nicht einlaufen, das ist alles.
Draußen stürmt und gießt es wie aus Eimern. Ich hab kein trockenes Paar Schuhe mehr. Wie Papa es mir beigebracht hat, habe ich die nassen Schuhe über Nacht mit Zeitungspapier ausgestopft. Hat aber auch nicht viel gebracht. Schrecklich. Dass so ein Novemberwetter einen so herunterziehen kann. Mein Hotelzimmer unter dem Dach war feucht und kalt, das Klo war eine Etage tiefer.
Marie sprang in den Zug und lachte, als käme sie gerade aus der Achterbahn. Robert reichte ihr eine Thermoskanne und eine rote Rose durch das Abteilfenster hinein. Marie war ausgesprochen aufgekratzt und kicherte herum wie eine Zwölfjährige auf Klassenfahrt. Sie küsste die Thermoskanne launig und winkte Robert nach, bis dieser ohnehin kleine Mensch die Größe einer Erbse erreicht hatte. Wir saßen auf unseren Erste-Klasse-Plätzen und schwiegen betreten. Ich reichte Echtwein ein Stück von meiner Käsestulle, die ich heute Morgen am Buffet habe mitgehen lassen, aber er lehnte ab. Später, auf der Fahrt durch Westfalen, fing Marie an zu weinen und warf uns vor, wir hätten uns gegen sie verschworen. Ich beteuerte ihr, dass wir dazu überhaupt keine Gelegenheit gehabt hätten.
»Keiner gönnt es mir, wenn ich mal ein bisschen glücklich bin«, weinte Marie. »Meine Mutter nicht, mein Mann nicht, mein Kind nicht, und ihr beide schon erst recht nicht! Und ich dachte, ihr wäret meine besten Freunde!«
Dieses unerwartete Kompliment machte mich von einer Sekunde auf die andere total glücklich.
»Oh doch, wir gönnen es dir«, beteuerte ich, während Echtwein verbissen schwieg. »Wir lieben dich, Marie, das weißt du doch!«
»Keiner liebt mich«, schluchzte Marie. »Noch nicht mal ich selbst!«
»O doch«, beteuerte ich. »›Wer mich liebt, den lieb ich wieder, und ich bin geliebt.‹ Singst du doch jeden Abend! Hat Hugo Wolf extra für dich geschrieben!«
Marie weinte jedoch und wollte sich nicht aufheitern lassen. Dabei hatte sie immer noch die alberne jägergrüne Joppe von Robert an, und ihr zerknittertes Abendkleid.
Edwin erhob sich und schwankte in den Gang, um eine zu rauchen. Ich schob die Tür hinter
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