Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Kommen Sie herein, mein Lieber, und trinken Sie einen schönen Wein mit der Dame des Hauses!« Edwin kam unsicher und blass in den Flur und guckte sich suchend nach der Dame des Hauses um. Auf so einen Empfang war er ganz offensichtlich nicht eingestellt.
»Legen Sie doch ab, mein Bester! Wer wird denn in so einer kalten Nacht in einem so schäbigen Mäntelchen herumlaufen!« Ich riss ihm den nassen Mantel von den Schultern und schob ihn ins Schlafzimmer. Dort prallte er entsetzt vor der großen Unordnung und vor dem knallroten Herz auf dem Schlafzimmerspiegel zurück.
»Ist … sie da? Ist sie zu Hause?«, waren seine ersten Worte, die er an mich richtete.
»Aber nein!«, frohlockte ich. »Außer der Dame des Hauses ist niemand da, das Gesinde hat frei, heute ist ja Silvester!« Edwin sah die leere Flasche auf dem Toilettentisch und die Utensilien aus Maries Beauty-Köfferchen, die ich zugegebenermaßen etwas wahllos verstreut hatte.
»Sie sind ja betrunken!«
»Ach was, mein lieber Edwin, das kleine Fläschchen Wein kann doch einer Dame von Welt nichts anhaben!«, rief ich und kippte gleichzeitig von meinen – also Maries – hohen Schuhen. Reflexartig hielt ich mich an Echtwein fest und kreischte dabei: »Aber Edwin! Nicht so stürmisch! Der Abend ist doch noch lang!« Echtwein befreite sich von meinen rot lackierten Krallen und setzte sich auf Maries Samtkleid, das über einem Stuhl lag.
»Edwin!«, kreischte ich hysterisch. »Mein Kleid!«
»Wie sehen Sie denn aus?«, fragte er mich vorwurfsvoll.
Lässig fingerte ich in Maries Handtasche nach einer Zigarette. »Rauchen Sie eine mit mir, Edwin?« Edwin schob das Päckchen beiseite.
»Mir ist nicht zum Feiern zumute«, sagte er barsch. »Ich muss sofort mit Marie sprechen. Wo ist sie? Weiß sie überhaupt, was Sie hier treiben?«
Ich blies gelassen den Rauch durch Mund und Nase und sagte: »Ich treibe doch nichts!« Dann warf ich ihm einen verächtlichen Blick zu. »Mit wem auch!«
»Karla, sagen Sie mir jetzt bitte, wo Marie ist!«
Ich nahm erfreut zur Kenntnis, dass er sich an meinen Namen erinnerte. Immerhin bin ich ja seine persönliche Nicht-Studentin.
»Marie ist mit ihrem Gatten auf dem Ball der Vanillebarone. Davon können Sie morgen in der Zeitung lesen, falls Sie sich eine kaufen können.«
»Kommen Sie mit in die Küche«, sagte er, säuerlich lächelnd. Wahrscheinlich hatte er das Schlafzimmer auf andere Weise lieb gewonnen. »Kochen Sie uns einen Kaffee und dann reden wir vernünftig miteinander.«
Ich drückte die Zigarette in Maries Waschbecken aus und stakste vor Edwin her.
»Wenn es denn sein muss!« Da ich absolut keine Lust auf Kaffee hatte, zwang ich Edwin einen Cognac auf. Ich selber köpfte eine Flasche Champagner. Schließlich war Silvester.
»Was gibt’s, Echtwein?«, fragte ich sachlich, nachdem ich ein großes Glas hinuntergekippt hatte und die Storchen-Strumpf-Beine übereinander geschlagen hatte.
»Wollen Sie sich nicht zuerst was anziehen?«, fragte Echtwein.
»Wieso, gefällt Ihnen Maries Unterwäsche nicht?« Ich zog an den Strapsen, die zugegebenermaßen nicht bis oben hin reichten.
»Schon gut«, sagte Echtwein. Er fummelte nach einer Zigarette und ich gab ihm Feuer. Meine roten Krallen spiegelten sich in meinem Glas. Ich war die extravaganteste Schönheit, die mir je im Dunkeln begegnet ist. Schließlich rückte Echtwein mit der Sprache raus. »Es geht um eine weitere Konzerttournee«, sagte er.
»Hatte das denn nicht Zeit bis nächstes Jahr?«, rügte ich ihn.
Edwin rutschte gequält auf dem Küchenstuhl hin und her. »Es geht am zweiten Januar los. Also streng genommen übermorgen. Und noch strenger genommen: fast schon morgen. Ich muss wissen, ob Marie mit von der Partie ist.«
»Also ich bin es auf jeden Fall«, sagte ich freundlich. »Auf mich können Sie zählen.«
Echtwein lächelte säuerlich. »Wer auf der Tournee blättert, ist der Agentur letztlich egal«, sagte er. »Sie wollen Marie. Ohne Marie findet die Tournee nicht statt.«
Er verschwand in seinem Cognacglas. Als er wieder herauskam, sagte er: »Vielleicht haben Sie mitgekriegt, dass ich längere Zeit nicht im Lande war.«
»Ja, irgendwie schon«, sagte ich und wippte mit dem Fuß. »Jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir auf: ich hatte in letzter Zeit kaum Unterricht bei Ihnen. Eigentlich noch nie!«
Echtwein grinste schief. »Ist ja schon gut, Karla. Ich hole das alles nach. Sämtliche Klavierstunden, die Ihnen zustehen, werden
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