Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Sie auch bekommen. Aber jetzt geht es doch um Wichtigeres: es geht um Marie!«
Das sah ich ein. Marie ist wichtiger. Meine blöden Klavierstunden können warten. »Bis jetzt sind es ja erst 48 Klavierstunden, die wir im Rückstand sind«, lenkte ich ein. »Die können wir ja mal an einem verregneten Wochenende nachholen.«
»Karla, ich verspreche Ihnen …«
»Ist klar«, unterbrach ich seine überflüssigen Beteuerungen. »Marie geht vor.«
Dann erzählte mir Echtwein bei weiteren drei Gläsern Cognac, dass er und Marie auf der letzten Reise, auf der ich nicht dabei war, weil ich Maximilian gehütet habe, einen großen Streit gekriegt haben. Marie wollte, dass Echtwein sie heiratet.
Echtwein hat ihr erklärt, dass es zwei Gründe gibt, die dagegen sprechen: Marie ist schon verheiratet und Echtwein ist es auch. Marie wollte diese Argumente nicht gelten lassen. Sie warf ihm vor, dass er ein unheimlich kleinkarierter, angepasster Spießer sei, und dann kam das Gespräch auf diesen Riesenkerl aus Bayreuth, der allerdings auch schon verheiratet war.
Ich überlegte, ob ich Echtwein jetzt sagen sollte, dass ich das alles schon wusste, aber ich dachte, das bringt doch jetzt nichts, so kurz vor Jahreswechsel. Nachher sind wir mitten am Diskutieren und dann ist es zwölf und draußen geht das Krachen los, und dann muss ich mich sowieso um Maximilian kümmern. Apropos Maximilian: der Streit zwischen Marie und Echtwein mündete darin, dass sie ihm vorwarf, dass sie nur wegen ihm einen Klotz am Bein hat und deswegen bis jetzt noch keine große Karriere gemacht hat. Er war darüber ganz zerknirscht und gab zu, in seinem Leben bisher alles falsch gemacht zu haben. Daraufhin hat Marie ihn einen »Schlappschwanz« geschimpft und ihn weggeschickt. Und seitdem ist sie nicht mehr mit ihm aufgetreten. Sondern mit mir. Und das bringt Echtwein noch ins Grab.
Ich trank zwei Gläser Champagner und nickte verständnisvoll.
Echtwein kam nun auf seine eigene Ehefrau zu sprechen.
»Die graue Vorzimmermaus mit den Sauerkraut-Locken, die bei nichts hier geschrien hat«, sagte ich weise nickend. Echtwein wollte mich wohl fragen, woher ich wusste, dass sie eine graue Vorzimmermaus ist, aber ich wollte Matthäus jetzt nicht ins Spiel bringen. Das würde sowieso nicht weiterführen, dachte ich, wo es doch gleich Mitternacht ist. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich die Küchenuhr.
»Jedenfalls«, so eröffnete Echtwein mir beim feierlichen Heben seines Cognac-Glases – es schlug in dem Moment zwölf und draußen auf der Straße gingen einige Nonnenfürze und andere Kleinraketen knatternd in die Vorgärten der feinen Villen los –, jedenfalls habe er das Hindernis jetzt behoben und sich scheiden lassen. Und deshalb sei er hier. Die Türen für Marie stünden weit offen.
»Von der grauen Vorzimmermaus?«, stieß ich mitleidig hervor.
»Mein Gott, sagen Sie doch nicht immer Vorzimmermaus zu Erika«, sagte Edwin gekränkt. »Schließlich war sie ja mal meine Frau.«
»Ist klar«, sagte ich und nippte an meinem Champagner. Echtwein begann sich zu verdoppeln. Seine Arme sogar zu vervierfachen. Was für ein schöner Mann, dachte ich in diesem Moment, und so edel. Lässt sich für Marie scheiden. Nun kann dem jungen Musiker-Glück ja nichts mehr im Wege stehen. Alle Konzertflügel dieser Welt stehen den beiden offen. Vielleicht finden sie auch noch einen Bescheuerten, der ihnen blättert. Ich jedenfalls werde im neuen Jahr an meine eigene Karriere denken. Als Vanille-Eis-Kronprinzessin eventuell.
Ich war meiner Sprache nicht mehr ganz mächtig, aber die Entwicklung der Ereignisse sowie der ungewohnte Konsum von so viel Alkohol auf nüchternem Magen hatten mich aus der Fassung gebracht.
»Hey, Echtwein«, lallte ich erfreut. »Wennde die Marie heirates, kannich ja den Willem trösten. Wie finnze das?«
»Das ist Ihre Sache, nicht meine!«, sagte Echtwein.
»Mensch, sei doch nicht so steif! Lach doch mal! Du kriss die Marie und ich nehm den Rest!« Ich schlug mir auf die Knie vor Begeisterung. »Den Panz übernehm ich. Faires Angebot!« Echtwein erhob sich schwankend.
»Sagen Sie Marie, was ich Ihnen erzählt habe. Dass die Konzerttournee in sechsunddreißig Stunden losgeht. Die Gage ist fünfstellig. Und das mit meiner Scheidung hätte ich ihr zwar lieber selbst gesagt …«
»Ich mach das schon, Echtwin, ähm, Edwin!« Ich unterdrückte ein Bäuerchen. »Ich sach der Marie, sie kann ruhig im Kastenwagen übernachten, weil die graue Maus
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