Karlas Umweg: Roman (German Edition)
alten Edwin«, rückte Marie mein Weltbild wieder zurecht.
»Aber ich liebe ihn natürlich nicht allein.«
Ich dachte mit Schrecken an den Generalmusik-Robert mit der Ente, an den potenten Siegmund mit der Übergröße, an den mächtigen Direktor Zurlinde. Die konnte sie doch nicht alle lieben?
»Willem«, sagte sie und strahlte mich an. »Den liebe ich auch.«
Diesmal klappt alles vorzüglich: Der neue Agent mit Namen Paulsen hat alles sehr professionell organisiert. Der Saal ist groß und modern, ausgestattet mit Klimaanlage und idealer Beleuchtung. Die Künstlergarderoben sind elegant und luxuriös. Es tropft kein Wasserhahn und keine Klospülung läuft. Die Probe verlief ungestört von allen äußeren Einflüssen. Herr Paulsen saß die ganze Zeit einsam im Parkett und hörte sich alles an. Marie war schrecklich aufgeregt. Edwin saß mit unbewegtem Gesicht am Flügel und spielte sehr gut. Ich war nur eine Randfigur, niemand wird mich bemerkt haben, und ich blättere so unauffällig wie möglich. Dabei überlege ich, ob der Agentenheini Marie gefallen könnte. Er sieht zwar völlig unscheinbar aus, aber so etwas hat Marie ja noch nie davon abgehalten, sich Hals über Kopf zu verlieben. Außerdem überlegte ich, ob ich dem Agentenheini mal vorspielen sollte. Vielleicht hätte er sogar ein Engagement als Pianistin oder Begleiterin für mich? Die Frage ist nur, wie ich das bewerkstelligen soll. Wo mich hier doch sowieso niemand wahrnimmt. Außerdem könnte es Marie verletzen, wenn ich so etwas täte.
Wir haben alle eine eigene Garderobe, auch ich. Eben kam ein Angestellter der Stadt herein und fragte, ob ich noch einen Wunsch hätte. Ich erwiderte: »Was für einen Wunsch?«
»Möchten Sie vielleicht noch etwas trinken oder möchten Sie noch mal telefonieren?«
Vielleicht wurde ich ja gleich hingerichtet? »Meinen Sie, ich sollte noch schnell meine Angehörigen verständigen?«, fragte ich bange.
»Zum Beispiel, ja«, sagte der Angestellte ohne Emotionen. »Manche Künstler tun das.«
»Aber ich bin doch kein Künstler«, sagte ich bescheiden.
Er trat einen Schritt nach draußen und blickte auf das Schild an der Tür.
»Karla Umweg, das sind Sie doch?«
»Ja.«
»Also sind Sie Mitwirkende des heutigen Abends?«
»Ja.«
»Dann stehe ich Ihnen den ganzen Abend lang zur Verfügung.« Ich lehnte dankend ab, leider hätte ich keine Zeit, zu meinem Bedauern. Vielleicht ein anderes Mal. Er stutzte, ging noch einmal raus, um mein Namensschild zu lesen, und verschwand dann kopfschüttelnd. Schade, ich hab da vielleicht was verpasst. Mama sagt doch immer, in diesen Kreisen lerne ich vielleicht mal einen Mann kennen.
Aber Marie brauchte mich heute schon den ganzen Tag. Erst habe ich Aspirin für sie geholt, dann sollte ich einen Friseur-Termin für sie abmachen. Dann musste ich ihn wieder absagen, weil sie Kopfschmerzen hatte. Dann wollte sie absolut nicht gestört werden, von niemandem. Dann kam sie verweint aus ihrem Zimmer und sagte: »Karla, ruf den Agenten an. Ich sing nicht. Ich kann’s nicht. Ich schaffe es nicht.« Dann stürzte Echtwein ebenfalls aus ihrem Zimmer und sagte: »Karla, rufen Sie nicht an. Bringen Sie uns einen starken Kaffee und einen Cognac. Geht auf Rechnung von der Agentur.« Und so ging es weiter. Bis vor zehn Minuten, da sollte ich ihr noch das Kleid zumachen, aber so, dass der Rückenausschnitt gerade runter ging. Der Kaffee hatte ihr gut getan und sie hatte wieder dieses Leuchten in den Augen. »Er ist da!«
»Wer ist da?«
»Heyko!«
»Welcher Hey … Zurlinde? Der Direktor?«
»Ja«, strahlte Marie. »Ich wusste, dass er kommt, ich wusste es!«
In Anbetracht der Tatsache, dass Marie kurz vor einem wichtigen Auftritt war, habe ich nicht gefragt, ob er seine oder überhaupt eine Frau dabeihatte. Das hätte ja auch nichts gebracht. Marie wäre nur wieder unnötig nervös geworden und dann hätte Echtwein mir böse Blicke zugeworfen.
Er hat sie bestimmt nicht dabei. Männer wie Heyko Zurlinde bringen ihre Frauen nicht mit.
Es stimmte. Heyko Zurlinde war ohne seine Frau da. Leider. Marie war außer sich vor Entzücken darüber und wollte absolut mit Zurlinde hinterher alleine sein.
»Karla, kannst du nicht mit Edwin essen gehen? Geht auf Rechnung der Agentur.«
Eigentlich tue ich Marie gern jeden Gefallen, wirklich, jeden. »Marie, wegen mir gern, aber ich fürchte, Echtwein will nicht mit mir essen!«
»Oh, er wird es müssen.« Damit verschwand sie in Edwins Garderobe. Der
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