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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Meisterin stehen zu bleiben.
    »Meine Güte, was sind Sie behäbig! Ja, wollen Sie denn gar nicht mal etwas abnehmen?«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Nein. Ich brauche mein Körperfundament für meine Stimme.«
    »Was? Wer hat Ihnen das denn eingeredet?«
    »Niemand. Alle berühmten Sängerinnen sind dick. Montserrat Caballé …«
    »Wie können Sie sich mit einer solch begnadeten, hoch musikalischen und stimmbegabten Künstlerin vergleichen!«
    Die Dicke knallte mir einen Wagner vor die Nase. Es wimmelte von schwarzen Tasten und schrecklich unlogischen Akkorden. Die Arie hieß »Weiche Wotan, weiche!«, und sie legte dermaßen los, dass ich selber gern gewichen wäre. Frau Pfefferkorn gab sich geschlagen. »Gar nicht so schlecht war das jetzt. Die Atemübungen haben doch geholfen. Sie lernen schnell, wahrscheinlich liegt das an meinem guten Unterricht. Wie war doch gleich Ihr Name, meine Liebe?«
    »Sieglinde Sterz.« Mir blieb das Herz stehen. Woher kannte ich diesen Namen? Sterz! War das etwa die Frau vom potenten Siegmund? Marie hatte gesagt, Siegmund habe ein Pferd. Dass es ein Flusspferd ist, hatte sie nicht gesagt.
    »Ja, aber doch nicht DIE Sieglinde Sterz?«, hauchte Frau Pfefferkorn und sank auf die Sessellehne.
    »DIE Sieglinde Sterz«, sagte Sieglinde Sterz mit eisiger Kälte.
    »Ja, aber … was treibt Sie zu mir? Wie kommen Sie dazu, gerade bei mir Unterricht zu nehmen?«
    »Sie haben einen außergewöhnlichen Ruf«, sagte Sieglinde und ihre Schnurrbarthaare zitterten.
    »Karla! Sie sind mein Zeuge! Ich habe die Schülerin nach bestem Wissen und Gewissen behandelt!«
    Ich nickte artig.
    »Ich wollte Sie einfach mal kennenlernen«, sagte Sieglinde Sterz kalt lächelnd. »Man hört eben viel von Ihnen.« Sie raffte ihre Noten zusammen. Erst jetzt fiel mir auf, wie abgegriffen sie waren. So sehen keine Anfängernoten aus.
    »Sehr viel habe ich über Sie gehört«, fuhr Sieglinde Sterz fort. »Am meisten habe ich aber über Ihre Tochter gehört. Marie von Otten. Eine ernst zu nehmende Konkurrenz!«
    Ich zuckte zusammen.
    »Tja. Das Talent hat sie von mir. Die Begabung, die Stimme, das Aussehen, alles hat sie von mir. Und den ersten Unterricht hatte sie natürlich auch bei mir. Alles hat sie von mir.«
    Sie bemerkte nicht, dass Sieglinde Sterz schon im Gehen begriffen war. Sie stopfte den letzten vergilbten Notenband in ihre Tasche und sagte: »Auch den fiesen Charakter, was?« Mit diesen Worten zog Sieglinde türenknallend ab. Mir tat Frau Pfefferkorn auf einmal leid. So was Peinliches aber auch. Abwartend saß ich auf meinem Hocker.
    Frau Pfefferkorn unterrichtete an dem Tag nicht mehr. Ich durfte gehen und unten einen Zettel an die Tür heften: »Pfefferkorn krank, bitte nicht klingeln.«
    Ich habe nichts zu tun. Meine Karriere liegt auf Vanille-Eis. Beim Windelwechseln stand Marie plötzlich hinter mir.
    »Karla, was ist vorgefallen? Warum hat meine Mutter mich so angeschrien? Was hast du ihr über mich erzählt?«
    »Nichts, ehrlich, Marie, kein Wort!«
    »Aber woher weiß sie dann von meiner Beziehung zu Siegmund?«
    »Nicht von mir, Marie, ich schwör’s!« Ich sah mich dann doch genötigt, Marie davon zu erzählen, dass die dicke Sieglinde bei ihrer Mutter Gesangsunterricht genommen hatte. Anders kam ich ja aus dieser Nummer doch nicht wieder raus. Marie brach in lautes Weinen aus. Sie warf sich auf Maximilians Bett und vergrub ihr Gesicht in seinem Kuscheltier.
    »Er hat es seiner Frau erzählt!! Sie haben zusammen den Plan ausgeheckt, dass Sieglinde zu meiner Mutter geht! Auf MEINE Kosten haben sie sich amüsiert! Siegmund Sterz, dieser widerliche, perverse, gefühllose Kerl!«
    Ich musste Marie dann noch mehrmals schildern, wie dick und wie ungepflegt Sieglinde Sterz war und wie sehr sie nach Knoblauch roch. Als ich ihr dann auf dem Kinderzimmerteppich vormachte, wie Sieglinde versucht hatte aufzustehen, fing Marie schon wieder an zu lachen.
    »Ich habe mich heimlich mit ihr verglichen!«
    »Ein völlig unnützes Unterfangen«, tröstete ich sie. »Man kann keinen Schwan mit einem Flusspferd vergleichen.« Sie schimpfte, lachte und heulte und sah in ihrem Zorn unbeschreiblich entzückend aus. Maximilian warf sich über sie, weil er mitspielen wollte. Ich holte ihr von unten einen Sherry. Nach dem Dritten hatte sie sich beruhigt und amüsierte sich immer mehr. Am Ende wälzte sie sich sogar mit Maximilian vor Lachen über den Teppich. Der Kleine quietschte vor Wonne.
    So erlebt er seine Mutter ja

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