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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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brach der Beifall los. Ludger wurde auf der Stelle rot, weil er einfach »Bravo« in die Stille gesagt hatte.
    Als man Marie genug bejubelt und beklatscht hatte und sich die Begeisterung im allgemeinen Kauen und Schlürfen verlief, trat ich zu Ludger. Schließlich hatte er sich spontan und öffentlich zu seinen Gefühlen bekannt. Ich fragte ihn, wie er gesellschaftspolitisch zu dem Inhalt dieses Liedes stehe. Er hatte nur glasige Augen, und sein Adamsapfel wanderte ruhelos hinter seinem obersten Hemdknopf hin und her, der unzweckmäßigerweise geschlossen war. Toll hat er es gefunden, super, und irre. Mehr war aus dem armen, verstörten Männerhirn nicht mehr herauszubekommen.
    Während Maries Vortrag kam übrigens noch Robert der Entenhalter zur Tür hineingeschlichen. Er hatte einen Jägerhut auf und eine Flinte in der Hand und verzog künstlich verschämt den Mund, weil er ja nicht stören wollte, hach aber auch! Dabei hat er es ganz genau geplant, zu spät zu kommen, ganz klar. Männer wie Robert brauchen ihren Solo-Auftritt, nur um ihre Kleinwüchsigkeit zu überspielen!
    »Der wird bei Ikea im Kinderparadies abgegeben«, brummte Sterz und Zurlinde verschluckte sich fast vor Lachen an seinem Käsehäppchen.
    Ich selbst fühlte mich übrigens plötzlich recht unwohl in meiner lächerlichen Verkleidung mit meiner Pappnase und meinem Ringel-T-Shirt. Logisch, dass alle auf Marie flogen und keiner auf mich! Ich bin dann hinaufgeschlichen in meine Mansarde und habe eine halbe Stunde lang rumprobiert, bis ich eine Verkleidung gefunden hatte, die mein Äußeres positiv herausarbeitete. Zu einem schulterfreien, figurbetonten knappen Fummel zog ich schwarze Glitzerstrümpfe und hochhackige Stiefel an, toupierte mir die Haare echt wild auf und streute mir Flitter über die Schultern und ins Dekollete. Anschließend bemalte ich mich sehr auffällig sinnlich. Frisch gestylt und mit gestärktem Selbstbewusstsein mischte ich mich wieder unter die Gäste. Inzwischen war noch Matthäus angekommen, und zwar als Punk verkleidet. In seine übliche stinkende Lederjacke gehüllt, mit Gel im Haar und mehreren Ketten um die Brust lehnte er an der Tür und schob sich flaschenweise Bier zum Mund.
    Marie war inzwischen bester Stimmung. Irgendwie braucht sie das, dass die Männer sich um sie scharen! Ich beobachtete sie intensiv, wie sie lachte, sich die Haare von den Schläfen strich, wie sie sich Feuer geben ließ, wie sie vertraulich die Hand auf des einen oder anderen Rockaufschlag legte, wie sie das Champagnerglas mit langen gepflegten Fingern auf den weißen! Flügel! stellte. Eigentlich kann man sich den ganzen Abend damit beschäftigen, Marie anzustarren, weil es wirklich sehr kurzweilig ist. Ludger tat das übrigens auch. Seit sie dieses klagende Lied zum Besten gegeben hatte, war er nicht mehr zu einem Gespräch mit mir zu bewegen. Sein einziger Beitrag zum Gelingen des Abends war es, mit seiner lächerlichen Pocketkamera ein paar Schnappschüsse von Marie zu machen. Ich kam jedenfalls nicht so recht in Stimmung. Keine Ahnung, woran das lag! Vielleicht hätte Ludger anstandshalber seine Pocketkamera auch einmal auf mich richten können, nur so, als freundliche Geste. Das hätte mich eventuell etwas aufgemuntert. Ich hasse es, tatenlos und ohne meinen Charme versprühen zu können in einer Gesellschaft herumzustehen, insbesondere, wenn die Gesellschaft hauptsächlich aus Männern besteht, die sich ruhig höflichkeitshalber ein bisschen für mich interessieren könnten. Nach drei Gläsern Champagner, die ich mir nur zum Zeitvertreib zu Gemüte geführt hatte, beschloss ich, in den Flur hinauszugehen und ein bisschen zu weinen. Spätestens dann würde Ludger bestimmt mit der albernen Knipserei aufhören und mir folgen, um mir sein von Tante Hella gebügeltes Taschentuch an die Wange zu drücken! Wer mir allerdings nicht hinterherkam, war Ludger. Stattdessen kam Matthäus, drückte mich an seine kalte, speckige, nach Rauch stinkende Lederjacke und klopfte mir auf den Rücken, dass seine Harley-Davidson-Ketten klirrten.
    »Tschuldige, ich wollte echt früher kommen, um dir in dieser irren Gesellschaft beizustehen. Aber bin ich nicht ein Pechvogel? Ich wollte noch schnell in den Aufzug furzen und dann ist er stecken geblieben.«
    Ich lachte und heulte gleichzeitig. »Die Anderen bemerken mich gar nicht!«
    »Is doch klaa, ey. Marie ist ja auch da drin. Wat sollen die noch wen anderes bemerken?« Matthäus sah die Wahrheit glasklar.

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