Karlas Umweg: Roman (German Edition)
er keine Hand frei, um James den Arzthelfer zu begrüßen, und deswegen ließ er ihn an seinem rechten Ellenbogen schütteln. Dabei schwappte der Champagner in seinem Glas über, und Ludger versuchte, den Schaden zu beheben, indem er an seinem rechten Handrücken lutschte. Marie schickte mir einen Blick voll heiteren Erstaunens, den ich erwiderte, aber sie fasste ihn falsch auf und schickte mir einen Blick des Triumphes. So waren wir denn alle vollständig bis auf Matthäus.
»Wo bleibt denn der werte Gatte?«, dröhnte Sterz, nachdem ziemlich lange niemand etwas von sich gegeben hatte.
»Der testet das Vanille-Eis auf Spermizide«, murmelte Zurlinde. Keiner nahm Notiz von ihm. Ludger und ich, wir standen völlig ratlos zwischen diesen ganzen unmoralischen Menschen und fühlten uns wie Statisten in einer Oper. Im wahrsten Sinne des Wortes Zaungäste waren wir. Da ich ja zurzeit absolut nichts esse und Ludger sich anscheinend nicht traute, die beiden Gläser irgendwohin zu stellen, um sich ein Häppchen vom Buffet zu nehmen, standen wir die ganze Zeit hinter dem weißen! Flügel! und beobachteten das bunte Treiben des Paradiesvogels inmitten seiner Anbeter. Marie kokettierte, sprühte, lachte, erzählte Geschichten, über die sie selbst am lautesten jubelte, imitierte Abwesende, erntete Lacher, rauchte elegante Zigaretten an langen Mundstücken und bot uns allen einen unvergesslichen Eindruck.
Nach einiger Zeit beschloss ich, mich doch einmal etwas um den armen, abseits stehenden Ludger Thiesbrummel zu kümmern, schließlich hatte er eine weite Anreise in seinem blassblauen VW-Käfer hinter sich, von Heidelberg nach Berlin, mit 85 Sachen auf der rechten Spur. Vermutlich war er sogar noch langsamer gefahren, denn in der Karnevalszeit ist mit verstärkter Polizeistreife auf der Autobahn zu rechnen, und ein solches Risiko geht Ludger erst gar nicht ein. Ich hätte es unfair gefunden, ihn völlig zu ignorieren. Er kann nichts für seine feuchten Hände, und auch nicht dafür, dass er Schuppen hat. Ich hörte also auf, ihm den Rücken zuzudrehen, und wollte irgendein unverbindliches, aufheiterndes Gespräch mit ihm anfangen, damit er sich nicht so verloren vorkäme. Aber er stand gar nicht mehr hinter mir! Er hatte sich an die andere Wand gestellt, damit er Marie von vorne sehen konnte! Er hatte sich näher an sie herangepirscht, um ihre Geschichten besser verfolgen zu können.
Aha, stellte ich erfreut fest: Wenigstens entwickelt er Eigeninitiative. Ich ging zu ihm hin und fragte ihn gönnerhaft, ob er sich gut amüsiere, und er antwortete mit glasigem Blick, dass diese Marie sagenhaft sei. Schon auf der Bühne hätte er sie total bewundert, aber als Privatmensch sei sie ja erst recht der Hammer.
»Ist ja auch meine Freundin!«
Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur an, und sein Adamsapfel tanzte Polka. Ich stellte mich trotzdem fürsorglich neben ihn, schließlich kann er sich emotional nicht so fallen lassen wie andere Menschen. Marie verzückte uns nun, indem sie ankündigte, etwas aus ihrem letzten Programm vorzusingen. Echtwein ließ sich bewusst lange bitten, sie zu begleiten, denn es stank ihm, dass Marie schon wieder mal zum allgemeinen Mittelpunkt geworden war. Aber als Zurlinde sich schon bereitmachte und den Klavierschemel auf passende Höhe runterdrehte, klopfte er doch seine Pfeife aus und schnellte hinzu.
»Lassen Sie nur, ich hab es ja doch auswendig drauf.« Er stieß seinen Vorgesetzten fast vom Hocker. Zurlinde rückte den Zylinder mit seiner leise klingenden Stimmgabel wieder zurecht und trat gönnerhaft in den Hintergrund. Er war sich seines alleinigen Besitztums von Marie ganz sicher. Wie alle hier im Raum.
Marie sang uns was ganz Trauriges vor:
Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, ich bin doch zu schade für einen allein
wenn ich jetzt nur dir Treue schwöre, wird wieder ein andrer ganz unglücklich sein.
Ja, soll denn etwas so Schönes nur einem gefallen
Die Sonne die Sterne gehör’n doch auch allen …
Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, ich glaub, ich gehöre nur mir ganz allein.
Natürlich musste Edwin noch ein langes Nachspiel von sich geben, weil er es nicht ertragen konnte, dass er wieder einmal nur der Begleiter gewesen sein sollte. Wir warteten alle ungeduldig, dass er endlich aufhörte, weil niemand so richtig wusste, wann er nun endlich in frenetischen Jubel ausbrechen konnte. Endlich aber war es so weit und Marie lächelte.
»Bravo!«, sagte jemand heiser und schon
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