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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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ich mir rasch ein neues Lachsbrötchen und kam ohne Umschweife zur Sache. »Ich bin an einer Mordsstory«, sagte ich und setzte eine wichtige Miene auf.
    »Aha«, sagte Simona Zorbas nur und hob ihr Sektglas, um einen Kollegen von einem Krawallblatt zu begrüßen. Er gesellte sich zu uns und riss das Gespräch an sich. Er musste frisch aus dem Urlaub heimgekehrt sein, denn er war braun gebrannt, was er mit seinem hellen Leinenanzug noch extra hervorhob.
    Dämlicher Lackaffe, dachte ich, während er von den Sandstränden der Malediven schwärmte. Simona Zorbas hörte ihm mit ausdruckslosem Gesicht zu. Er schien sie weniger zu beeindrucken, als er erhofft hatte, und trug immer dicker auf, fabulierte von Haien, die er gefüttert habe, von waghalsigen Tauchunternehmen, die ihm fast das Leben gekostet hätten, und so weiter.
    Simona zwinkerte mir kurz zu und verdrehte die Kulleraugen. Ich musste grinsen. Der Kollege, dem unser Desinteresse nicht verborgen blieb, verabschiedete sich, weil er unbedingt mit dem Herrn Abgeordneten noch ein vertrauliches Gespräch führen müsse.
    »Dämlicher Lackaffe«, meinte Simona nach seinem Abgang. »Ja, das stimmt«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
    Aber jetzt solle ich doch endlich von meiner Mordsstory erzählen, drängte Simona.
    Ich wies darauf hin, dass ich nicht viel dazu sagen dürfe, aber sie könne mir vielleicht weiterhelfen. »Ach ja?«
    »Mich interessiert die Geschichte der Juden in unserer Gegend«, begann ich, »vor allem in der Nazizeit.« Simona musterte mich regungslos. Aber ich hatte erst vor einigen Wochen einen Kurs in »Wahrnehmungspsychologie für Journalisten« besucht und erkannte daher, dass sie nicht uninteressiert war.
    »Habt ihr im Heimatmuseum irgendwelche Zahlen oder Informationen?«, fragte ich.
    Simona schüttelte den Kopf. »Im Heimatmuseum nicht.«
    »Aber?«, hakte ich nach.
    Simona zögerte, schaute mit ihren braunen Riesenaugen nach oben und bewegte leicht ihre Lippen. »Anfang 1939«, sagte sie dann, »lebten im Kreis noch vier jüdische Familien, zweimal Karlebach, einmal Grünstein und einmal Rosenthal, insgesamt mit Großeltern und Kindern einunddreißig Personen. Der Geiger Ehrlichmann hat das Land Ende 1937 wieder verlassen. Er war ja amerikanischer Staatsbürger. 1942 waren es null. Alle deportiert und ermordet. Außer einem. Der hat das KZ überlebt und ist ausgewandert.«
    Ich starrte sie mit offenem Mund an und muss wohl ziemlich dämlich ausgesehen haben. Simona lachte und bot mir eine Zigarette an. Ich griff zu, obwohl ich eigentlich Nichtraucher bin, und sie gab mir Feuer. Als ich mich von dem Hustenanfall erholt hatte, fragte ich sie, woher sie das alles wisse.
    »Eine Freundin hat vor einigen Jahren eine Seminararbeit darüber geschrieben«, erzählte Simona. »Als ich im September im Museum anfing, schickte sie mir die Arbeit zu.«
    »Hast du, äh«, ich räusperte mich, »haben Sie die Arbeit noch?«
    »Wir können ruhig beim Du bleiben«, lächelte Simona und stieß mit mir an. »Ich habe nur die wichtigsten Zahlen rausgeschrieben und die Arbeit dann zurückgeschickt. Sie war nicht besonders.«
    »Was ist denn aus dem Überlebenden geworden?«, fragte ich und war froh, endlich die Zigarette ausdrücken zu können.
    »Keine Ahnung«, antwortete Simona, »meine Freundin hat seine Spur nicht weiter verfolgt.«
    »Schade eigentlich«, sagte ich. »Zu welcher Familie hat er denn gehört?«
    Simona hob die Hände. »Ich sag ja: schlampige Arbeit. Vielleicht entdecke ich in meinen Unterlagen noch einen Hinweis.«
    »Vielleicht weiß deine Freundin ja mehr, als sie geschrieben hat?« Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben und bat Simona um die Adresse.
    »Die kannst du gerne haben«, lachte sie und nannte eine Straße in Buenos Aires. »Die Frau hat sich verknallt und ist dann Hals über Kopf mit ihrem Lover nach Argentinien.« Simona summte die Melodie eines Tangos und bewegte sich dazu im Takt.
    »Soll vorkommen«, sagte ich nach einem Schinkenbrötchen spähend.
    »Das ist ja hier eine fröhliche Runde«, hörte ich Pietsch plötzlich poltern. Er prostete uns mit glasigem Blick zu. »Iss dich nochmal richtig satt, Weißmann! Heute hast du’s umsonst«, prustete Pietsch.
    »Danke«, sagte ich, »Sie sind so voller Güte und Gnade.« Pietsch war schon zu betrunken, um den ironischen Unterton zu bemerken. »Denk dran, Weißmann«, tönte er, »nächstes Frühjahr sind Wahlen. Vergiss mich nicht, dann vergess ich dich auch

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