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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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ihrem Blick auszuweichen. Draußen klappte die Autotür einer schweren Limousine. »Meine Eltern«, seufzte Deborah. Sie öffnete die Haustür. Ich malte mir aus, was noch hätte geschehen können, wenn nicht die Eltern Heilig gekommen wären. »Was ist denn hier passiert?« Vater Heiligs Fistelstimme zerstörte meine Phantasien.
    Ich bekam einen knallroten Kopf. »Wieso?«, stotterte ich und reichte ihm die Hand zur Begrüßung. »Guten Tag, Herr Hei …« Ich biss mir auf die Zunge.
    »Das Sesselkissen liegt auf dem Boden. Guten Tag. Die Gardine ist unordentlich.« Er untersuchte sein Wohnzimmer. »Was ist das hier? Und das? Und hier?«
    »Entschuldige bitte, Vati«, sagte Deborah rasch. »Ich war mit dem Aufräumen noch nicht fertig.«
    »Das sehe ich. Du versäumst deine Pflichten«, zischte er. »Und beeil dich mit dem Kaffee.« Arschloch, dachte ich.
    »Ja, das ist ja ein seltener Besuch«, hörte ich Mutter Heilig flöten. »Das ist ja eine Freude!« Ich erhob mich und gab ihr artig die Hand. »Ihr habt doch wohl keine Dummheiten gemacht?«, fragte sie mit ausgesuchter Höflichkeit. Ich wünschte sie zum Henker oder besser gleich zum Teufel.
    »Ich glaube, du fragst besser nicht, Mutter«, sagte Deborahs Schwester Miriam, die mittlerweile den Raum betreten hatte. Ich reichte ihr die Hand, doch sie nickte nur kühl. »Du hattest es ja auch nicht nötig, auf Opa Bernhards Beerdigung mit uns zu sprechen.«
    Bevor ich etwas zu meiner Entschuldigung vortragen konnte, rief Deborah zu Tisch. Vater Heilig sprach ein Gebet, das nicht mehr enden wollte. Während er für alle guten Gaben dankte und vom Herrn die Rettung auch der ungläubigen Theologiestudenten erflehte, betrachtete ich die heilige Familie. Alle hatten ihre Hände gefaltet und ihre Augen andächtig geschlossen. Mutter Heilig war etwa einen halben Kopf größer und mindestens doppelt so breit wie ihr Mann, der überhaupt keine Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte, weder vom Aussehen noch charakterlich. Er war ein Pedant, ein Kleinkrämer, der seit Jahrzehnten auf dem Gemeindeamt Akten stapelte. Vor einigen Jahren wurde er zum Vorsitzenden der Sekte gewählt, die in unserer Gegend nicht wenige Mitglieder hatte. Außerdem war sie äußerst finanzkräftig. Es gab Gerüchte, dass der Fabrikant Frick zu ihren heimlichen Gönnern gehörte. Zumindest hatte er einen namhaften Betrag für den Neubau des repräsentativen Gemeindehauses gestiftet. Nachdem ich in einem Artikel für die Lokalpost seine Spende öffentlich gemacht hatte, übergab er der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde die gleiche Summe. Ich erhielt für meinen Bericht eine Menge Lob, besonders aus Kirchenkreisen, verlor aber zugleich meinen lukrativen Nachtjob in einer von Fricks Firmen. Später glätteten sich die Wogen wieder. Allerdings durfte ein Kommentar, in dem ich mich über die Geistesverwandtschaft von Männern wie Pietsch und Frick mit der Sekte ausgelassen hatte, nicht gedruckt werden. Oberkirchenrat Knecht, der ein ebenso strenger Verfechter von Moral und Ordnung war, musste sich schon von Amts wegen gegen die Sekte äußern. Er ließ es sich jedoch nicht nehmen, um der praktizierten Ökumene willen bei Feierlichkeiten der Sekte Grußworte zu übermitteln. Obwohl Heilig sich selten am öffentlichen Leben beteiligte, war er nicht ohne Einfluss und man begegnete ihm durchaus mit Respekt. Meine Augen wanderten über die Gesichter der Heiligs. Als sie auf Deborah verweilten, blickte sie hoch und musterte mich. Ich sah schnell weg, wurde jedoch von Miriams Bannstrahl getroffen. Miriam war etwa zwei Jahre älter als Deborah, schon immer brav und viel länger Mitglied der Sekte als sie. Wie ihre Mutter trug sie ihre Haare, die sie nach den Regeln der Gemeinde nicht schneiden durfte, zu einem Dutt hoch gesteckt. Sie war genau so scheinheilig wie ihre Mutter, eine falsche Schlange. Ich stimmte in das gemeinsame Amen ein.
    »Ich hoffe, dein Amen war nicht nur äußerlich«, sagte Vater Heilig. »Der Herr sieht auch deine inneren Gedanken.«
    »Ich weiß«, seufzte ich.
    »Sündige Gedanken beim Beten sind besonders verwerflich«, mahnte Miriam und schaute erst mich, dann ihre Schwester an.
    Ich ließ meine Serviette zu Boden fallen und überlegte, wie ich mich möglichst schnell verabschieden könnte. »Lieber Ulrich«, fragte Mutter Heilig überfreundlich, »möchtest du lieber Sahnetorte oder Schwarzwälder Kirsch?« Kein Wunder, dass sie so fett ist, dachte ich und sagte: »Ich habe

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