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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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nicht!«
    Er wandte sich Simona zu, die sich gerade ihre Handtasche umhängte. »Sie wollen schon gehen? Das ist aber schade!«
    »Ja«, sagte sie kurz und bedankte sich noch für die Einladung.
    »Nichts zu danken.« Pietsch legte seinen Arm um ihre Schultern. »Solange es um eine gute und gemeinsame Sache geht, bin ich immer für Sie da.«
    Simona versuchte sich der Umarmung zu entziehen und verdrehte wieder die Augen.
    »Ich muss jetzt auch los, Herr Pietsch«, kam ich ihr zu Hilfe und schüttelte demonstrativ seine Hand. Simona und ich schlenderten gemeinsam zur Tür. Ich hörte, wie Stumpf meinen Namen rief, aber ich reagierte nicht, denn ein unbestimmtes Gefühl, dem ich gewöhnlich trauen konnte, sagte mir, dass Unannehmlichkeiten drohten. »Nichts wie weg«, raunte ich Simona zu. Doch Stumpf hatte uns schon eingeholt.
    »Ulrich Weißmann!« sagte er so laut, dass alle Anwesenden aufhorchten. »Ich muss dir gratulieren.« Ich wusste nicht, worum es sich handeln konnte. »Sensationell«, brüllte er und vergewisserte sich, dass auch die Kollegen vom Tagblatt, einer neu gegründeten Konkurrenzzeitung, zu uns herüber blickten. »Deine Idee mit den Osterglocken!«
    »Ja und?«, fragte ich, immer noch ahnungslos.
    Stumpf drehte sich mit dem Gesicht zum Saal. Ich roch seine Fahne.
    »Siebenundzwanzig Anrufe - alle positiv! Achtzehn Leserbriefe - alle positiv! Und …«Er machte eine gewichtige Pause. »… vier Neubestellungen!« In der Runde raunte es.
    Unwillkürlich musste ich breit grinsen. Ich richtete mich auf. Stumpf klopfte mir auf die Schulter. Ich nickte in die Runde und einem inneren Impuls gehorchend sagte ich zu Stumpf - nicht ganz so laut wie er, aber doch so, dass es jeder hören konnte: »Dann bekomme ich ja bald einen Redakteu rs vertrag!«
    Stumpf setzte sein Haifischgrinsen auf und schob mich zur Tür: »Darüber sprechen wir ein anderes Mal.« Simona wartete auf mich und meinte, ich schreibe ja doch nicht nur Leserbriefe. Sie dürfe eben meinem Bruder nicht alles glauben, entgegnete ich.
    »Ich fahre übrigens morgen nach Berlin«, sagte sie auf dem Parkplatz.
    »Zu meinem Bruder?«, rutschte mir heraus.
    »Nein«, lachte sie und stieg in ihr Auto, »zu meinem Freund.«
    Als ich ihr kurz nachgewinkt hatte, trat ich gegen eine Blechdose, über die ich fast gestofpert wäre. Sie landete auf der Motorhaube von Pietschs Luxuslimousine und rollte mit lautem Geschepper auf der anderen Seite herunter. Jetzt aber nichts wie weg! Ich startete meinen Florian und fuhr mit Vollgas in die Dunkelheit.
    Am nächsten Morgen beschloss ich, die Fahrt nach Tübingen noch einmal zu verschieben. Ich besaß keine Winterreifen und wollte jedes Risiko vermeiden. Der Regen war in der Nacht in Schnee übergegangen, und es drohte glatt zu werden. Ich legte mich also wieder ins Bett und schlief weiter. Gegen halb zwölf stürzte meine Mutter ins Zimmer und rüttelte mich wach. Ich müsse sofort aufstehen, Opa Bernhards Schwiegertochter sei am Telefon. »Frau Heilig soll später wieder anrufen«, grunzte ich und zog mir die Decke über den Kopf.
    Meine Mutter blieb hartnäckig und riss die Decke weg. »Schäm dich, so lange zu schlafen«, zeterte sie. »Andere in deinem Alter sind längst auf der Arbeit!« Ich fuhr in meine Hose und wankte zum Telefon. »Tu wenigstens so, als ob du wach bist«, zischte meine Mutter hinter mir her. »Und sei freundlich!«
    »Ja, hallo«, meldete ich mich so wach und freundlich wie möglich.
    »Es ist aber nicht höflich von dir, andere so lange warten zu lassen«, sagte die Stimme aus dem Hörer. Blöde Kuh, dachte ich. Opa Bernhards Schwiegertochter wohnte im Nachbardorf und gehörte mit ihrem Mann und den beiden Töchtern zu einer Sekte, die schon seit Jahrzehnten das Ende der Welt prophezeite. Nur die Mitglieder ihrer Gemeinschaft kämen in den Himmel, alle anderen, auch Opa Bernhard, müssten ewig in der Hölle schmoren. »Ich war beschäftigt«, sagte ich nach einem Räuspern. »Ja, das macht doch nichts«, sagte sie plötzlich überfreundlich. »Ich weiß doch, dass du viel lernen musst. Komm doch bitte heute Nachmittag zum Kaffeetrinken zu uns. Es geht um Opa Bernhards Testament.« Ich sagte zu und war froh, auflegen zu können. Das Haus der Heiligs, wie die Familie wegen ihres überdurchschnittlich frommen Lebenswandels allgemein genannt wurde, befand sich auf einer kleinen Anhöhe. Ich parkte Florian unten im Dorf und ging den Rest zu Fuß. Insgeheim hoffte ich, dass Opa Bernhard

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