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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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war unerträglich heiß. Ich tastete nach dem Lichtschalter und schaute schlaftrunken auf den Wecker. Sieben Uhr. Luft, stöhnte ich, wankte zum Fenster und riss es auf. Nach ein paar kräftigen Atemzügen kam ich wieder zu mir. Als ich ins Bett zurückkriechen wollte, bemerkte ich, dass mein Heizöfchen die ganze Nacht gelaufen war.
    Du bist reif für die Insel, sagte ich mir. Nichts wie weg! Meine Eltern waren nicht wenig erstaunt, mich zu so früher Stunde anzutreffen. »Unser Herr Sohn will doch nicht etwa arbeiten?«, hämte mein Vater.
    Ich überhörte seine Bemerkung, ließ mir von meiner Mutter ein paar Brote schmieren, holte einige Konservendosen aus dem Keller, schwang mich in meinen Florian und fuhr nach Tübingen.
    Trotz der widrigen Straßenverhältnisse erreichte ich mein Seminar an der Uni mit nur wenigen Minuten Verspätung. Der Herr Kaiser hatte mir wie üblich einen Platz in der letzten Reihe frei gehalten.
    »Hast du letzte Woche für mich unterschrieben?«, begrüßte er mich.
    »Nein«, antwortete ich, »ich dachte, du warst da.«
    »Minuskumpel«, raunte er mir zu. »Jetzt haben wir schon zwei Fehlstunden und es ist noch nicht einmal Weihnachten.«
    »Dumm gelaufen«, raunte ich zurück, »aber ich hatte Gründe.«
    »Bist du verliebt?«, fragte Herr Kaiser. »Wieso?«
    »Du hast so einen Glanz in deinen Augen.« Unser Gespräch wurde von der Ermahnung des Professors unterbrochen, dass doch bitte auch die beiden Herren in der letzten Reihe seinen Ausführungen folgen sollten. Wir nickten schuldbewusst und dösten die nächste Stunde vor uns hin, während der Professor über das Wirken des Heiligen Geistes in Geschichte und Gegenwart monologisierte. Nach dem Seminar fragte ich den Herrn Kaiser, ob er noch auf ein Bier in den Hades, unsere Stammkneipe, mitkomme. Er verneinte, weil er Volleyball spielen wollte. Alleine hatte ich keine Lust und so trottete ich heim. Ich wärmte mir eine Dose Ravioli auf, kochte mir eine Bockwurst und hockte mich vor den Fernseher. Ich langweilte mich und konnte nichts mit mir anfangen. Irgendwann döste ich ein. Gegen zehn Uhr klingelte das Telefon. Zunächst dachte ich, es sei ein Traum, doch das Läuten hörte nicht auf. Ich hob den Hörer ab und hörte Deborahs Stimme. »Oh hallo«, sagte ich, »das ist ja eine Überraschung.«
    »Wie geht es dir?«, fragte sie.
    »Danke.«
    »Vermisst du mich?«
    Ich überlegte mir eine unverfängliche Antwort. »Ich hab sogar schon geträumt von dir.«
    »Was Schönes?«
    »Kann man nicht unbedingt behaupten.« Ich erzählte ihr den Traum, ließ aber Simona Zorbas und das Judenhaus aus dem Spiel.
    Deborah lachte. »Der Besuch hat ja mächtig Eindruck auf dich gemacht.«
    »Deine Küsse waren zumindest nicht übel.« Am anderen Ende der Leitung wurde es still. Dann hörte ich ein Stimmengewirr. »Ich muss aufhören«, flüsterte Deborah, »meine Eltern kommen von der Versammlung.« Sie legte auf.
    Das Telefon läutete wieder. Diesmal hörte ich die Stimme meines Bruders.
    »Wo bist du denn?«, fragte ich nach der Begrüßung. »Im One Way.« Das war eine kleine Kneipe am Prenzlauer Berg, in der wir unsere gemeinsamen Abende ausklingen ließen, wenn ich ihn in Berlin besuchte. Mein Bruder wohnte schräg gegenüber und der Heimweg war kurz, was in einer Weltstadt wie Berlin ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist.
    »Rat mal, wer neben mir sitzt!«, meinte mein Bruder. An seiner Stimme erkannte ich, dass es keiner seiner gewöhnlichen Kumpel war.
    »Keine Ahnung.« Ich zählte ein paar Namen auf.
    »Falsch«, sagte mein Bruder jedes Mal und bei jedem Nein wurde sein Ton triumphierender.
    Bald fiel mir niemand mehr ein.
    »Warte, ich reiche den Hörer weiter.«
    Ich hörte eine Zeit lang nur die kneipenübliche Geräuschkulisse, dann hauchte Andrea, die Kellnerin, ein eiliges Hallöchen in den Hörer, dann lachte eine Stimme: »Grüß dich, Herr Journalist!«
    »Das ist ja eine Überraschung«, stammelte ich, »hallo Simona.«
    Wir unterhielten uns eine Weile über Belanglosigkeiten, dann sagte sie: »Ich habe noch einmal in meinen Notizen über die Juden nachgeschaut. Vielleicht interessiert es dich?«
    »Schieß los!«
    »Der Jude, der überlebt hat, gehörte zur Familie Karlebach. Er hieß …« Plötzlich piepte es einige Male, und die Verbindung war unterbrochen.
    Ich wählte die Nummer vom One Way, die ich im Kopf hatte, weil mein Bruder dort öfter anzutreffen war, aber es war ständig besetzt.
    Das gibt’s doch nicht,

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