Karlebachs Vermaechtnis
ein paar Probleme mit dem Magen. Ich esse lieber gar nichts.«
»Das geht doch nicht. Wenigstens ein Stückchen!«
»Na gut«, resignierte ich, »dann bitte Schwarzwälder Kirsch, da ist wenigstens Alkohol drin.«
Wir aßen schweigend. Ich war darauf bedacht, keinen Anstoß zu erregen. Dann ergriff Vater Heilig das Wort. »Wir sind heute noch einmal beim Notar gewesen und haben das Testament meines Vaters prüfen lassen.« Er hüstelte. »Was unsere Familie betrifft, geht dich nichts an«, sagte er mit Blick zu mir. Ich nickte.
»Aber Vater hat auch dich erwähnt. Deshalb haben wir dich hergebeten.«
»Oh«, freute ich mich. Vor meinen Augen regnete es Geldscheine.
»Freu dich nicht zu früh«, fistelte Heilig. Er legte sich einen Ordner auf den Schoß und nahm ein Blatt hinaus. Dann setzte er seine Lesebrille auf. »Du bekommst eine Hebräische Bibel«, las er und reichte mir eine Kopie des Testaments. Bis auf den Abschnitt, in dem mein Name erwähnt war, hatte jemand den Text geschwärzt.
»Eine Hebräische Bibel?« Ich wusste nicht, ob ich enttäuscht sein sollte.
»Ja«, sagte Heilig sachlich, »wir wissen auch nicht, was Vater damit gemeint hat. Wir geben dir Bescheid, wenn wir sie gefunden haben.«
Er erhob sich, und mit ihm der Rest der Familie. »Moment mal«, sagte ich und deutete auf die geschwärzten Abschnitte des Testaments. »Vielleicht hat er mir ja noch viel mehr vererbt?«
Drei Augenpaare starrten mich vernichtend an. »Ulrich«, sagte Mutter Heilig mit vibrierender Stimme, »du würdest uns zutrauen, dich zu betrügen? Jetzt bin ich aber traurig.«
»Eine verirrte Seele«, ergänzte ihr Mann. »Das Theologiestudium hat ihn verdorben.«
»Du wirst dich für jeden sündigen Gedanken verantworten müssen«, fügte Miriam hinzu. Deborah sagte nichts.
Vater Heilig ging zur Tür, der Rest der Familie folgte ihm, ich trottete hinterher. Deborah reichte mir meine Jacke, ich zog meine Schuhe an und verabschiedete mich. Draußen atmete ich erst einmal tief durch. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Ich schlitterte zu meinem Florian, wischte den Schnee von den Scheiben und griff in die Jakkentasche, wo ich meinen Autoschlüssel vermutete. Doch die Tasche war leer. Ich kramte weiter, ohne Erfolg. Du Trottel lässt bei den Heiligs den Autoschlüssel liegen! schimpfte ich und trat den Rückweg an. Auf halber Strecke kam mir Deborah entgegen.
»Du hast deinen Autoschlüssel vergessen«, rief sie mir zu. »Danke«, sagte ich, »hab ich schon bemerkt.« Wir standen uns gegenüber. Sie griff nach meiner Hand. »Es hat Ärger gegeben«, flüsterte sie, »mit dem Testament.
Meine Eltern wollten es anfechten. Deshalb waren sie heute noch einmal beim Notar.«
»Das Testament anfechten?«
»Opa Bernhard hat alles, was er besaß, der Bahnhofsmission vererbt. Für das Pennerheim. Meine Eltern haben nur den Pflichtanteil bekommen. Und du die Bibel.«
»Da schau her«, murmelte ich.
Deborah reichte mir den Autoschlüssel und strich mir dabei über die Finger. Im Licht der Straßenlampe sah sie verdammt gut aus. Einer Eingebung gehorchend legte ich meine Arme um ihre runden Hüften und gab ihr einen Kuss. Sie zögerte zunächst, doch dann presste sie ihre vollen, weichen Lippen auf meine. Ich spürte ihre Zunge zwischen meinen Zähnen. Mir wurde heiß. Eigentlich wollte ich sie fragen, ob sie das überhaupt dürfe, doch dann war es mir egal. Aus der Ferne hörte ich eine Frauenstimme zetern: »Deborah! Wo bleibst du denn?«
»Wir müssen uns wieder sehen», flüsterte sie. »Ja«, sagte ich, »das müssen wir.« Nur über Deborah würde ich erfahren, was in Opa Bernhards Testament wirklich stand.
Sie küsste mich noch einmal und lief zurück. Ich setzte mich in meinen Florian, drehte das Radio an und fuhr in die Dunkelheit.
6
In der Nacht wurde ich von Alpträumen geplagt. Deborah Heilig und Simona Zorbas waren Richter im Jüngsten Gericht und verurteilten mich zu lebenslänglich Hölle. Ich wollte mich verteidigen, brachte aber kein Wort heraus. Der Flurschütz Röther packte mich und schob mich in ein brennendes Haus, Pietsch klatschte Beifall, Chefredakteur Stumpf schoss Fotos für die Seite eins. Ich wollte noch fliehen, aber meine Beine bewegten sich nicht. Ich rannte und rannte, die Heiligs feuerten mich an, die Flammen rückten immer näher, Opa Bernhard warf mit dicken Bibeln nach mir, die Flammen packten mich. »Hinein ins Judenhaus«, schrie ein Chor.
Schweißgebadet erwachte ich. Es
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