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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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Leute sterben auch vor Weihnachten.«
    »Blöde Geschichte«, sagte ich verständnisvoll.
    Oleander stützte sich auf seine Schaufel. »Und du?«, fragte er.
    »Ich will zum Grab von Opa Bernhard.«
    »Ja«, seufzte Oleander, »das war ein guter Mensch, ein anständiger Christ.«
    »Die soll es auch geben«, bestätigte ich.
    Oleander schnäuzte sich die Nase, die ebenso rot war wie seine überdimensionalen Ohren. »Vorige Woche war einer hier und hat von Opa Bernhards Grab ein Foto gemacht.«
    Oleander genoss meinen überraschten Blick. »Ein Bissnissmähn», betonte er.
    »Ein was?«
    »Ein Biss-niss-mähn.« Oleander skandierte jede Silbe einzeln.
    »Ein Biss-niss-mähn?«
    »Ja.« Oleander wurde ungeduldig. »Ein Ausländer. Ein Itaker oder Türke oder so. Mit schwarzen Haaren. Er sprach aber Englisch mit mir.«
    »Seit wann kannst du Englisch, Oleander?«
    Der Totengräber war beleidigt. »Ei laf ju. Gudd morning.
    Gudd nait.«
    »Schon gut«, unterbrach ich ihn, »ich glaub’s dir ja. Erzähl weiter.«
    »Da gibt’s nichts zu erzählen«, sagte Oleander immer noch beleidigt.
    Ich fingerte in meiner Jackentasche nach dem zweiten Magenbitter.
    Oleanders Augen glänzten. »Bist ein guter Junge.« Er leerte das Fläschchen wieder in einem Zug. »Also, der Mann lief auf meinem Friedhof umher. Ich hin und gefragt, was er hier will. Er sprach auf Englisch zu mir. Ich sag: Sprich langsam, dann versteh ich dich. Er sagt Opa Bernhards Namen. Ich sag: Ich bring dich hin. Dann sind wir zum Grab, er hat Fotos gemacht und mir zwanzig Mark gegeben. Ich sag: Du woher, was du machen hier? Er sagt: Bissniss-mähn.«
    »Und wo kam er her?«, drängte ich.
    Oleander machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Hab ich nicht verstanden.«
    »Wie klang es denn ungefähr?«
    Oleander murmelte vor sich hin. »Teller, Telia, Teil …«
    »Tel Aviv?«, rief ich überrascht. »Kann sein.«
    »Wie alt war er denn, der Bissnissmähn?«
    »Keine Ahnung. So wie du vielleicht.« Deborah hatte sich von hinten an uns herangepirscht und hielt mir kichernd die Augen zu. Ich schenkte Oleander das letzte Fläschchen Magenbitter und rang ihm das Versprechen ab, niemandem zu erzählen, dass ich mich auf seinem Friedhof mit Deborah traf. »Bleib morgen lieber zu Hause«, mahnte ich ihn schließlich. »Wieso?«
    Ich deutete auf seine Ohren. »Es soll Sturm geben.«
    »Guter Witz«, lachte er, schulterte seine Schaufel und stiefelte davon.
    Deborah hakte sich bei mir ein, küsste mich auf die Wange und redete auf dem Weg zu Opa Bernhards Grab ohne Unterlass, doch ich dachte nur an den Geschäftsmann aus Tel Aviv. Wer war er? Wie kam er zu Opa Bernhards Grab? Für wen machte er die Fotos?
    »He, du hörst mir ja gar nicht zu!«, riss mich Deborah aus meinen Gedanken.
    »Nein«, sagte ich, »ich überlege, wo sich Axel rumtreibt.« Ich pfiff einige Male, doch der Hund blieb unsichtbar. »Dahinten ist er!«, rief Deborah.
    »Axel«, brüllte ich, »bist du bescheuert?« Er scharrte auf einem frisch angelegten Grab ein Loch. Ich rannte zu ihm hin und haute ihm ein paar auf die Schnauze. »Wenn das der Oleander sieht!«, tadelte ich ihn. Axel sah mich mit seinen großen Augen an.
    »Er riecht die frischen Knochen«, sagte ich entschuldigend zu Deborah und ließ ihn wieder laufen. Inzwischen hatten wir Opa Bernhards Grab erreicht. Deborah legte einen Blumenstrauß nieder.
    »Was soll das denn?«, fragte ich verständnislos. »Die gehen doch sofort ein bei der Kälte.«
    »Ja«, sagte Deborah leise. Dann fing sie an zu weinen. Ich nahm sie in den Arm und nestelte an ihrem Zopf.
    »Ich habe Opa Bernhard ganz doll gemocht«, schluchzte sie. »Ich wollte ihn eigentlich viel öfter besuchen, aber ich durfte ja nicht. Weil er ungläubig war.«
    »Das ist doch Quatsch!«, sagte ich wütend. »Das ist doch nur vorgeschoben.«
    »Ja«, sagte Deborah zögernd«, das habe ich auch manchmal gedacht. Irgendwann muss da mal was vorgefallen sein, zwischen ihm und meinem Vater, aber ich weiß nicht was.«
    »Deborah«, bat ich sie, »du musst mir einen Gefallen tun.« Ich wischte mit einem Papiertaschentuch ihre Tränen ab. »Ich hab so ein Gefühl, dass mit dem Testament irgendetwas nicht stimmt.«
    »Wieso?«
    »Dein Vater hat ja auf der Kopie, die er mir ausgehändigt hat, außer ein paar belanglosen Sätzen und dem Abschnitt mit der Hebräischen Bibel alles geschwärzt.«
    »Ja und?«
    »Ich glaube, dass noch mehr für mich drinstand.«
    »Du meinst also wirklich, meine

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