Karlebachs Vermaechtnis
Frühstücken.«
»Kommst du zum Abendessen?«
»Ich?«
»Ist hier sonst noch jemand?«
»Der Geist vom Amacker«, murmelte ich.
»Wer?«
»Ach nichts«, winkte ich ab. »Entschuldige bitte«, sagte ich dann, als ich meinen Pullover über den Kopf zwängte, »ich bin nur Bier gewohnt. Champagner vertrage ich einfach nicht, der ist mir zu stark.«
Simona lachte und half mir den Ärmel des Pullovers zu finden. »Es war trotzdem schön mit dir.« Ich wurde rot. »Ein Glas Wasser würde ich vielleicht noch trinken.«
Simona ging in die Küche. Ich suchte im Schlafzimmer nach meinen Socken. Den einen fand ich unterm Bett, der andere hing an der Kommode. Ich ließ mich aufs Bett fallen und zerrte die Socken ächzend über meine Füße. Als ich etwas verschnaufen musste, fiel mein Blick auf eine Perlenkette, die auf der Kommode lag. Ich ließ sie durch meine Hände gleiten. Auf der Rückseite des Verschlusses war ein Monogramm eingraviert, aber ich konnte es nicht entziffern. Die sind sicher vom Amacker, dachte ich. »Sind die echt?«, rief ich. »Wer?«
»Die Perlen!«
Simona hastete ins Schlafzimmer und riss die Kette an sich. »Das geht dich gar nichts an!«, sagte sie in einem Ton, der keine weiteren Nachfragen duldete.
8
»Sorry«, rief ich und stürzte in die Redaktion der Lokalpost, »eine Verkettung unglücklicher Umstände.«
»Hast wohl ‘ne wilde Nacht hinter dir«, begrüßte mich Helmut, der Ressortleiter, ohne vom Computer aufzublicken. »Seh ich so schlimm aus?«, fragte ich besorgt. Helmut stopfte sich eine Pfeife. »Nee, aber ich kenn dich doch.«
»Wo ist was frei?«, fragte ich.
»Nimm den Schreibtisch von der Heuberger«, antwortete Helmut. »Dann kannst du dich schon mal an den Platz gewöhnen.«
»Woran gewöhnen?«
Helmut lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Du willst doch endlich einen Redakteurs vertrag bekommen. Und die Heuberger geht im Juni mit ihrem Mann ins Ausland.«
»Moment mal«, warf ich ein. Hatte ich richtig gehört, oder stand ich noch immer unter dem Einfluss von Champagner? Ich zwickte mich in den Arm. Es tat weh, also war ich wach und träumte nicht.
»Es ist natürlich noch nichts entschieden«, sagte Helmut. »Aber ich will dich haben. Stumpf, denke ich, hat auch keine Einwände. Und, ganz wichtig, du paßt ins Proporzschema! Du weißt ja: zwei rechts, eins links. Und die Heuberger hat den Linksaußen gespielt.« Ich konnte es nicht fassen. Ich spürte es: Mein Leben stand vor einer entscheidenden Wende. Sieben lange Jahre hatte ich für die Lokalpost geackert und mein Studium sträflich vernachlässigt. Sieben lange Jahre war ich auf Termine gerannt, die kein anderer erledigen wollte. Sieben lange Jahre hatte ich mich mit einem Hungerlohn abspeisen lassen. Sieben lange Jahre … Sollte ich jetzt mein Ziel erreicht haben? Seit sieben langen Jahren, nein, um ehrlich zu sein: es waren noch viele Jahre mehr, hatten mich die Frauen übersehen. War ich Luft für sie, war ich bestenfalls jemand, mit dem man sich gut unterhalten konnte. Und jetzt hatte ich eine Nacht mit der schönsten Frau verbracht, die mir je begegnet war. Ich hatte meinen Bruder ausgestochen, dem die Frauen in Scharen nachliefen. Ich war Nachfolger des erfolgreichen Amacker. Ich klatschte in die Hände. »Träum nicht«, holte mich Helmut in die Wirklichkeit zurück. »Sonst sitzt du noch um Mitternacht hier. Der Jahresrückblick muss auf jeden Fall bis morgen fertig werden.«
»Womit soll ich anfangen?«
»Mit den Fotoseiten. Du kennst die Vorgaben: Vier Seiten, mindestens drei Fotos mit Pietsch und drei mit Frick.«
»Pietsch ist klar, aber wieso jetzt auch Frick?«, fragte ich. »Hast du es nicht mitbekommen?« Helmut klopfte seine Pfeife aus. »Frick ist ab ersten Januar unser neuer Besitzer. Er hat die Mehrheitsanteile übernommen.«
»Na, dann Prost Neujahr«, sagte ich. »Das heißt noch mehr Holberichterstattung.«
Helmut schob mir eine Kiste mit Fotos auf den Schreibtisch. »Ich bin froh, dass ich Ende des Jahres aufhöre.«
»Du willst aufhören?«, rief ich aus. »Du bist doch noch keine sechzig!«
Helmut stopfte sich die Pfeife. »Ich habe genug verdient. Mein Häuschen in der Toskana wartet auf mich. Und ich will noch ein bisschen forschen.« Er beugte sich wieder über seinen Computer.
Ich beugte mich über die Fotos. Zunächst baute ich einen Stapel mit Bildern, die von mir stammten, dann sortierte ich die Fotos mit Pietsch und mit Frick, später einige
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