Karlebachs Vermaechtnis
eingerichtet.« Ich hockte mich auf einen Designerstuhl. Die Lehne drückte mir ins Kreuz.
»Die Stühle sind unbequem«, rief Simona aus der Küche. »Setz dich lieber aufs Sofa.«
Simona brachte mir ein Glas Champagner und einen Teller mit Häppchen. »Du musst dich leider mit den Resten begnügen.«
»Tja, wer zu spät kommt …«, zitierte ich und stieß mit Simona an.
Wir übten uns eine Weile in Small Talk, da entdeckte ich das Foto eines alten Klassenkameraden. »Der Amacker!«, rief ich. »Was hast du denn mit dem Ekelpaket zu tun?«
»Das ist mein Ex«, sagte Simona kühl.
Ich wollte im Boden versinken. »Oh, entschuldige, äh, ich wusste nicht …«, stammelte ich.
»Schon gut«, sagte Simona. »Aber du hast ja Recht.«
»Wart ihr lange zusammen?«
»Ungefähr ein Jahr.«
»Der Amacker«, schnaufte ich und zerbiss vor Wut ein Plastikpartyspießchen. »Was hast du gegen ihn?«
»Entschuldige, wenn ich etwas direkt bin«, antwortete ich, »aber er ist ein karrieregeiles Arschloch.«
»Ah ja?«
»Schon in der Schule hat er immer sein Fähnlein in den Wind gehängt. Beim richtigen Lehrer geschleimt, zur rechten Zeit in die rechte Partei eingetreten, zwei Jahre gedient. Und jetzt rechte Hand beim Innenminister im Landtag. Aber das brauche ich dir ja nicht zu erzählen.«
»Bist du etwa neidisch?«
»Wieso?«
»Na, weil er es zu etwas gebracht hat, und du eierst immer noch herum.«
Ich war beleidigt. »Okay, ich kann ja gehen.« Simona zog mich aufs Sofa zurück. »Wer wird denn gleich beleidigt sein?« Sie bot mir eine Zigarette an, und ich griff wieder zu, obwohl ich immer noch Nichtraucher war. »Was hat sich denn mit dem Judenhaus ergeben?« wechselte sie das Thema. Ich erzählte ihr alles, was ich wusste, jedoch ohne Deborah zu erwähnen. Vom Streit mit Pietsch am Heiligabend berichtete ich ausführlich. »Nimm dich vor dem in Acht!«, sagte Simona. »Ach was«, winkte ich ab, »der alte Saufkopp kommt doch bald in die Klapse. Der ist nicht mehr zurechnungsfähig. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit, ich weiß, was ich sage.«
Simona schenkte noch ein Glas Champagner ein. »Der wird Wirtschaftsminister.«
»Quatsch!«
»Doch!«
»Woher willst du das wissen?«
»Wie heißt es bei euch Journalisten immer?«, lachte Simona: »Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen.« Ich wollte es nicht glauben. »Der alte geht in Rente.«
»Das ist allgemein bekannt.«
»Du weißt doch genau«, sagte Simona, »in unserem schwarzen Loch wird Pietsch hundertprozentig wieder gewählt. Wahrscheinlich mit dem besten Ergebnis von allen.«
»Das ist kein Argument. Pietsch ist schon zweimal wieder gewählt worden.«
»Er hat einflussreiche Freunde in der Partei. Ganz oben.«
»Das haben andere auch.«
»Pietsch ist mit Frick befreundet, und der ist der mächtigste Unternehmer weit und breit. Der zieht die Fäden im Hintergrund.«
»Das stimmt«, räumte ich ein.
»Glaubst du etwa, dass die Sozis an die Macht kommen?« Ich lachte.
»Bohr nicht zu tief in der Vergangenheit«, sagte Simona ernst. »Das kann gefährlich werden!« Die Uhr schlug Mitternacht.
»Ich glaube, ich muss los«, sagte ich. »Morgen um acht muss ich bei der Lokalpost sein, den Jahresrückblick basteln.«
»Dann übernachte doch hier. Zu Fuß bist du in zehn Minuten bei der Zeitung.«
Ich schluckte und knackte mit meinen Fingern. »Nein …«, druckste ich herum.
»Ich tu dir schon nichts«, lächelte Simona. Schade eigentlich, dachte ich.
»Du schläfst brav auf dem Sofa, und ich brav in meinem Bett.«
Schade, schade!
»Okay«, sagte ich, »angesichts des Wetters wäre es wohl günstiger, ich nähme dein Angebot an.«
»Dann kann ich ja noch die letzte Flasche Schampus öffnen«, lachte Simona.
Ich brauchte fünf Minuten Ruhe und verdrückte mich aufs Klo. »Lass dich von der Frau nicht verrückt machen«, ermahnte mich mein Spiegelbild.
Der helle Wahnsinn! Ich fragte mich, wie ich diese Nacht überstehen sollte. In einer Wohnung mit der schärfsten Frau, der ich je begegnet war. War ich verliebt? Wenn ja, brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, denn dann wäre ich so gehemmt, dass ich nicht einmal zu einem Kuss fähig wäre. Und wenn nicht? Deborah kam mir in den Sinn, und so etwas wie ein schlechtes Gewissen meldete sich. Ach was, sagte ich vorm Spiegel, ich habe nichts, ich tauge nichts, ich bin nichts. Wenn selbst der Erfolgsmensch Amacker nach einem Jahr wieder fallen gelassen wird, was soll ich mir da Hoffnungen
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