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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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Verkehrsunfälle, Häuserbrände, Grundsteinlegungen und Vereinsjubiläen. Als Aufmacher wählte ich meinen Frühlingsstrauß. Frick hatte ich auf dem Richtfest einer neuen Fabrikhalle fotografiert, dazu nahm ich zwei, die ihn als großzügigen Spender und Wohltäter darstellten. Dann bearbeitete ich die Pietschfotos. Für zwei entschied ich mich rasch. Auf dem einen war Pietsch mit dem Kanzler der Einheit abgebildet, das andere zeigte ihn auf einer Dienstreise in Las Vegas, wo er sich für die Verbesserung der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen einsetzte. Ich wühlte in dem Stapel und fischte schließlich das Foto von der Misswahl heraus. Die drei angeblich schönsten Frauen des Kreises stierten leichtbekleidet in die Kamera, Pietsch stand in der Mitte, das Hemd geöffnet, den Schlips über die Schulter geworfen, ein Sektglas in der Hand. Das ist der Hit, sagte ich mir und packte es auf die erste Seite. Als Unterschrift wählte ich: »Unser Abgeordneter Pietsch weiß auch die schönen Seiten des Lebens zu schätzen.«
    Helmut schaute sich meine Fotoseiten an. »Ich hoffe, du hast ein breites Rückgrat«, meinte er, auf das Bild von der Misswahl deutend. »Pietschs Frau versteht keinen Spaß.«
    »Ich weiß«, entgegnete ich, »ich kenne sie. Aber das wollen doch unsere Leser sehen: schöne Frauen, ein bisschen Nachtleben, einen erfolgreichen Politiker …«
    »Schon gut«, stoppte er mich, »lass uns lieber noch ein Bier trinken.«
    Wir gingen in eine Kneipe gegenüber des Zeitungsgebäudes. Ich bestellte ein alkoholfreies Bier und wir unterhielten uns über Frick, Pietsch und die kommenden Landtags wählen. »Ich bin an einer interessanten Geschichte«, sagte ich nach einer Weile und fragte den Kollegen, ob er was über das Judenhaus wisse.
    Helmut stopfte sich wieder eine Pfeife. »Einige wollten ja damals ein Mahnmal daraus machen oder wenigstens eine Gedenktafel anbringen. Aber Pietsch, Frick und Konsorten haben das verhindert. Es dürften keine alten Wunden aufgerissen werden, hieß es. Sie meinten, dass die Vergangenheit endlich begraben werden müsste. Und außerdem - und das war ihr wichtigstes Argument - lebten ja keine Juden mehr in der Gegend.«
    »Mit welchen Mitteln haben sie das Mahnmal verhindert?«
    »Ganz einfach. Mit der Mehrheit im Gemeinderat.« Helmut kaute auf dem Mundstück seiner Pfeife. »Pietsch war damals Bürgermeister. Noch recht jung, aber er hatte die Unterstützung des alten Frick. Dem gehörte das Judenhaus. Und der wollte auf dem Grundstück ein repräsentatives Geschäftsgebäude bauen. Also war klar: Das Judenhaus wird abgerissen.«
    »Und wem gehörte das Grundstück? Frick oder der Gemeinde?«
    »Das war nie ganz klar. Ich weiß es nicht mehr genau, plötzlich tauchte ein verschollenes Schriftstück auf, das für einen völlig neuen Sachverhalt sorgte. Es war eine undurchsichtige Geschichte.«
    Ich erzählte Helmut von Opa Bernhards Zettel. »Zwei Männer aus Merklinghausen? Schreckliches Geschehen?« Helmut strich sich durch seinen Bart. »Keine Ahnung, was er damit gemeint haben könnte. Mir ist nichts bekannt. Aber bleib dran an der Geschichte.« Es war schon kurz nach neun, als wir uns verabschiedeten. Ich überlegte hin und her und rang mich schließlich dazu durch, bei Simona Zorbas vorbeizugehen. Sie war nicht zu Hause. An ihrer Haustür hing ein Zettel, dass sie bis acht auf mich gewartet habe. Alle Aufregung umsonst. Ich hinterließ einen schriftlichen Gruß.
    Ich rief daraufhin aus einer Telefonzelle im Diakonischen Altenpflegezentrum an, in dem Deborah arbeitete, und ließ mich mit ihr verbinden.
    »Wo hast du gesteckt?«, begrüßte sie mich vorwurfsvoll. »Du solltest mich doch noch gestern Abend zurückrufen.«
    »Eine Verkettung unglücklicher Umstände«, entschuldigte ich mich. »Das Wetter, die viele Arbeit.«
    »Meine Eltern haben gestern noch Bekannte besucht. Ich war allein zu Hause.«
    »Schade«, sagte ich. »Hast du schon nach den Briefen geforscht?«
    »Ja. Und ich’ habe sie gefunden.« Ich überschlug mich mit Freundlichkeiten. »Du hättest die Briefe gestern Abend sehen können.« Wütend hämmerte ich gegen den Fernsprecher. Die Verbindung brach im selben Augenblick zusammen. Ich wählte wieder die Nummer des Altenheims, doch die Leitung blieb tot. Also raste ich los, um Deborah noch vor ihrem Feierabend abzufangen. Sie kam mir schon auf dem Parkplatz entgegen. Schwein gehabt. »Hallo Deborah«, rief ich, »schön, dass wir uns noch

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