Karlebachs Vermaechtnis
eingetreten. Dort machte er rasch Karriere und wurde Leiter der Jugendgruppe. In der Sekte lernte er auch seine spätere Frau kennen. Vielleicht boten sie ihm, seine Frau und die Sekte, den Halt, den er immer gesucht hat.«
»Was hat der Heilig zu verbergen?«, fragte ich. Helmut zuckte mit den Achseln und blies einige Rauchwolken in die Luft. »Ich bin ihm nach der Schulzeit nur noch einmal begegnet. Als er vor ungefähr fünfzehn Jahren zum Sektenchef bestimmt wurde, sollte ich ein kurzes Portrait über ihn schreiben. Es war ein unangenehmes Gespräch.
Er legte jedes Wort auf die Goldwaage. Nachher wollte er unbedingt meinen Artikel lesen, bevor er gedruckt wurde. Auf Anordnung von Stumpf - er war damals gerade Chefredakteur geworden - musste ich Heilig den Text vorlegen. Er gab ihn mir mit einer Fülle von Korrekturen und Anmerkungen zurück. Was mich aber nicht daran hinderte, mein Original zu drucken. Danach hat er wütend das Abo der Lokalpost abbestellt.«
»Woher hat er denn das viele Geld? Seine Limousine, seine Villa …«
»Seine Frau stammt aus einem vermögenden Elternhaus. Ihre Eltern waren früh gestorben. Außerdem steht er unter dem besonderen Segen des Herrn. Behauptet er zumindest.« Ich dachte an Deborah. »Ich bin ein elender Feigling«, jammerte ich, »ein Miststück.«
»Wir sind alle nicht zum Helden geboren«, tröstete mich Helmut. Er richtete sich auf. »Ich denke«, sagte er, »du musst nach Jerusalem. Den Karlebach aufsuchen. Er ist des Rätsels Lösung. Nur über ihn finden wir heraus, was Opa Bernhard gemeint hat.«
»Ich nach Jerusalem?«
»Warum nicht?«
»Erstens«, zählte ich auf, »habe ich kein Geld, zweitens muss ich meinen Seminarschein bekommen, sonst bin ich zu alt für den Pfarrdienst im Schöße der Kirche, und drittens …«, ich zögerte etwas, »und drittens habe ich … Flugangst.«
10
Mit dem lokalen Jahresrückblick kamen wir schneller voran als geplant. Mein Kopfweh verschwand und ich konnte mich auf die Arbeit konzentrieren. Gegen vier legte ich eine Pause ein, fuhr ins Altenheim, kaufte am Kiosk einen Strauß Blumen und suchte Deborah. »Ist Schwester Deborah zu sprechen?«, fragte ich einen vorbeihuschenden Altenpfleger. »Im Aufenthaltsraum.«
Ich klopfte an und trat ein. Deborah saß am Tisch, trank Tee und heulte. Unter ihrem linken Auge klebte ein Pflaster.
»Hallo, Deborah«, sagte ich und überreichte ihr den Strauß.
»Hau ab, du Miststück«, zischte sie ohne aufzublicken.
»Deborah«, sagte ich so sanft wie möglich. Ich wollte ihr über den Arm streicheln.
»Hast du nicht gehört? Du sollst abhauen!«
Ich setzte mich auf einen Stuhl. »Aber wieso denn?«
»Weil du ein elender Feigling bist!« Sie heulte los. »Du hast mich gegen meine Eltern aufgehetzt und dann im Stich gelassen!«
Ich nahm ihre Hand.
»Lass sofort meine Hand los! Du hast mich nur benutzt, du Ekel!«
»Das bildest du dir bloß ein«, sagte ich besänftigend. »Hau endlich ab!« Deborah hatte immer noch nicht aufgeschaut. »Ich will dich nicht mehr sehen!«
»Entschuldige bitte«, stammelte ich und hielt ihr den Blumenstrauß vors Gesicht. »Ich weiß, ich war feige.«
Deborah riss mir die Blumen aus der Hand und warf sie auf den Boden. Sie sah mich mit geröteten Augen an. »Kapierst du nicht? Du sollst dich verpissen!« Ich sammelte die Blumen auf und legte sie auf den Tisch. »Ich versteh ja, dass du sauer auf mich bist…«
»Wenn du nicht sofort abhaust«, drohte Deborah, »schrei ich los!«
»Deborah …« Ich wollte einen letzten Versuch zur Versöhnung starten, da schrie sie los.
Im selben Augenblick stürzte der Pfleger in den Raum. »Was ist denn hier passiert?«
Er lief zu Deborah. Sie warf sich in seine Arme und heulte noch lauter.
»So ist das also«, rümpfte ich die Nase.
»Es ist besser, du gehst«, sagte der Pfleger ruhig.
»Von dir lass ich mir gar nichts befehlen«, knurrte ich und blieb stehen.
Der Pfleger setzte Deborah behutsam auf den Stuhl und schritt drohend auf mich zu. Er war etwa einen Kopf kleiner als ich, hatte aber doppelt so breite Arme. »Geh lieber«, sagte Deborah, »er kann Aikido.« Der Pfleger lächelte und blickte zu mir hoch. Unter diesen Voraussetzungen zog ich es vor zu verschwinden. »Und, wie war’s?«, fragte Helmut, als ich in die Redaktion zurückkam.
»Scheißweiber«, knurrte ich.
»Jetzt verstehst du, warum ich nie geheiratet habe«, nuschelte er, die Pfeife zwischen die Zähne geklemmt. »Nimm dir
Weitere Kostenlose Bücher