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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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gehabt«, flüsterte er. »Ach?«, tat ich überrascht.
    »Ja, ja, es ist schon eine Weile her.« Er legte seine Hand auf meinen Arm. »Meine Frau darf nichts davon erfahren, hörst du?«
    »Ehrensache«, sagte ich.
    »Und jetzt erpresst mich diese Zorbas.«
    Jetzt war ich wirklich überrascht.
    Pietsch schien den Tränen nah. »Da tut man einmal einen Fehltritt und dann …«Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich könnte…« Sein Gesicht verzerrte sich. »Herr Pietsch«, sagte ich mit all meiner seelsorgerlichen Kompetenz, »wir sind alle keine Engel. Jeder macht mal einen Fehler. Womit erpresst Sie denn die Zorbas?«
    »Sie will mir was anhängen. Ich soll in illegale Machenschaften verwickelt sein, hier im Dorf beim Judenhaus.«
    »Was denn für illegale Machenschaften?«
    »Ich war doch damals, vor fünfundzwanzig, dreißig Jahren Dingens … Bürgerdingensmeister. Und wir haben mit dem Gemeinderat beschlossen, das Scheißhaus abzureißen. Ein paar idealistische Spinner waren dann beleidigt. Aber wo kämen wir hin, wenn wir an jede Eiche, an der einmal ein Jude gebaumelt hat, eine Gedenktafel anbringen?«
    »Ein ganz gewöhnlicher demokratischer Vorgang. Die Entscheidung der vom Volke gewählten Mehrheit. Was soll daran illegal gewesen sein?«
    »Ich soll Frick illegal das Grundstück zuge …«. Pietsch war jetzt völlig betrunken. »Ich soll das Grundstück gefälscht haben. So ein Blödsinn!« Er lachte dröhnend los und haute mir auf die Schulter. Dann wurde er ernst. »Sag mal, was erzähle ich dir hier eigentlich?« Er stemmte sich in seinen Sessel hoch und baute sich drohend vor mir auf. »Herr Pietsch«, zuckte ich zusammen. »Du fragst mich hier aus, stimmt’s? Du willst mich reinlegen, du Sozi, du!«
    »Das würde ich doch niemals wagen, Herr Pietsch.« Pietsch zerrte mich aus meinem Sessel. Das zweite Cognacglas fiel zu Boden. »Ihr Schurrnalisten«, brabbelte er, »ihr habt doch immer was dabei.« Er tastete mich ab. »Was suchen Sie denn?«
    »Dein Dingens, dein Aufnahmegerät. Du willst mich reinlegen!«
    »Herr Pietsch …«, besänftigte ich ihn. »Dieser verdammte Jude«, schrie er plötzlich, »der hat meinen Vater umgebracht!« Er zerschmetterte sein Weinglas auf dem Parkett. »Weißt du, was das heißt, wenn sich der Vater umbringt? Der eigene Vater? Nur wegen einem verdammten Juden!« Pietsch durchquerte in schnellen Schritten sein Zimmer. »Diese Schande! Das Gerede im Dorf! Dieser Makel, der ewig an dir haftet. Der Sohn eines Selbstmörders, der Sohn eines Selbstmörders, der Sohn eines Selbstmörders, der Sohn …«
    Ich trat hinter meinen Sessel und schob ihn wie einen Schild vor mich. Pietsch machte mir Angst. So wütend hatte ich ihn noch nie erlebt. Sein Gesicht hatte sich in eine unförmige, verzerrte, rot glühende Masse verwandelt, aus der zwei trübe Augen hervorquollen.
    »Und dann kommt dieses verdammte Luder und so ein Scheißschurrnalist, die mich fertig machen wollen, die mir was anhängen wollen. Aber ein Pietsch lässt sich nicht so einfach fertig machen, ein Pietsch nicht!« Ich hatte mich inzwischen hinter seinem Schreibtisch verkrochen und fragte mich, ob er mich überhaupt noch wahrnahm.
    »Ich mache euch fertig, ich mache euch alle fertig«, tobte er weiter. Er stellte sich vor das Bild des Kanzlers der Einheit. »Dann habt ihr nichts mehr zu lachen, ihr nicht mehr. Wenn ich es will, könnt ihr alle verrecken. Wie die Scheißjuden lasse ich euch verrecken.«
    Pietschs Frau stürmte ins Zimmer und gab ihrem Mann eine Ohrfeige. »Halt endlich dein dummes Maul!«, brüllte sie.
    Pietsch war schlagartig ruhig und begann zu flennen. »Mama«, wimmerte er, »Mama. Ich will zu meinem Papa.« Er legte seinen Kopf an den großen Busen seiner Frau. Sie strich ihm über die Haare und führte das heulende Elend aus dem Zimmer.
    Ich holte das Aufnahmegerät, das ich unter einem Stapel Zeitungen versteckt hatte, und ging hinaus. Axel hatte sich auf der Fußmatte zusammengerollt. Die Leine hing noch am Pfosten.
    »Komm«, sagte ich, »verlassen wir dieses Irrenhaus.« Auf dem Heimweg kam ich an der Sonne vorbei. Wenn der Männerchor geprobt hatte, ließ der Wirt ausnahmsweise bis nach Mitternacht geöffnet. Ich spähte durch ein Fenster und sah trotz der verschmutzten Scheibe und des dichten Rauchs, dass sich Helmut am Tresen eine Pfeife stopfte. Röther war nicht zu entdecken.
    Ich hockte mich zu ihm und bestellte für Axel eine Schale Wasser und für mich eine Cola. Der Wirt

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