Karlebachs Vermaechtnis
Hand. Röther wollte ausweichen und traf mit dem Kolben den Gescheitelten mitten ins Gesicht. Helmut konnte sich aus dessen Griff befreien, nahm Röthers Schnapsglas und goss der Glatze den Inhalt ins Gesicht. Die dritte Lederjacke versuchte Axel von Röthers Hand wegzureißen, doch der Flurschütz schlug in blinder Wut mit seinem Gewehr um sich. Plötzlich löste sich ein Schuss und die dritte Lederjacke sank zu Boden. »Du Idiot!«, brüllte der Gescheitelte und rammte Röther seine Faust in den Magen. Röther klappte wie ein Taschenmesser zusammen.
Ein paar Männer vom Chor verließen fluchtartig den Raum.
Aus der Fünf-Liter-Asbach-Flasche, die über dem Tresen hing, floss der Weinbrand auf den Boden. Ich klopfte mir den Staub von der Jacke und zog Axel von der Asbachpfütze weg, Helmut packte seine Pfeifentasche zusammen. Die drei Lederjacken und Röther waren mit sich selbst beschäftigt.
Wir hatten in der Sonne nichts mehr verloren.
»Saubere Arbeit«, sagte Helmut, als wir das aufgebrochene
Türschloss an seinem alten Daimler betrachteten. »Die Jungs verstehen ihr Handwerk.«
»Fast keine Spuren. Wie bei meinem Florian.«
»Ja«, nickte Helmut. »Der Verdacht drängt sich auf. Kennst du die Lederjacken?«
»Flüchtig. Der Gescheitelte heißt Frank Müller und stammt hier aus Merklinghausen; der Glatzkopf, Torsten Hermann, wohnt im Nachbarort. Die beiden und Röther haben vor Jahren eine Art Wehrsportgruppe gegründet, brettern mit Geländewagen durch den Wald und ballern auf alles, was sich bewegt. Die dritte Lederjacke habe ich noch nie gesehen. Vielleicht ist er ein Arbeitskollege.«
»Die arbeiten?«
»Die Glatze ist Handlanger in einer von Fricks Firmen, fährt Schrott, kehrt die Halle und holt Bier für die anderen. Ich kenne ihn von meinen Nachtschichten. Ein Mann fürs Grobe. Und x-mal vorbestraft. Der Schichtmeister erzählte mir mal, dass Frick ihn aus sozialen Gründen nicht entlassen wolle. Um ihm eine Chance zur Resozialisierung zu geben. Das ist aber nichts als Blabla. Müller ist gar nicht so dumm, hat sogar Abitur, wenn ich mich recht erinnere. Jetzt organisiert er beim Frick den Werksschutz. Ich halte ihn für gefährlich. Sollen wir die Polizei verständigen?« Helmut schüttelte den Kopf. »Die würden sowieso nichts verstehen.«
Wir beobachteten, wie die Glatze und der Scheitel aus der Tür der Sonne traten und die dritte Lederjacke in ihre Mitte nahmen. Er schien nicht ernsthaft verletzt zu sein, wahrscheinlich war er nach Röthers Schuss vor Schreck zu Boden gegangen. Der Flurschütz redete ungelenk gestikulierend auf die Lederjacken ein, doch sie würdigten ihn keines Blickes und rasten in einem dunkelblauen BMW dorfauswärts. Röther haute sich wie ein überdimensionaler Säugling auf die Schenkel, dann wankte auch er davon. »Wer so einen wie Röther in seiner Organisation hat, der ist schon …«
»Moment mal«, unterbrach ich Helmut, »der blaue BMW kommt mir bekannt vor.«
Helmut sah mich erwartungsvoll an. Doch so sehr ich mir den Kopf zermarterte, es fiel mir nicht ein, wo ich den BMW schon mal gesehen hatte. Ich war zu müde, um noch intensiv nachdenken zu können.
In den weniger als sechzig Stunden, die mir noch bis zum Beginn meines ersten Fluges verblieben, schaffte ich mir eine Menge Feinde. Ich war reizbar und nervös und litt Todesängste. Und dann - als wenn mich das Schicksal nicht schon genug gebeutelt hatte - traf ich zum ersten Mal seit fünf Jahren auf Amacker. Ich hatte wegen Pietsch noch einmal mit Simona reden wollen und war am späten Samstagnachmittag unangemeldet bei ihr erschienen.
»Was willst du denn hier?«, begrüßte sie mich, nachdem ich an ihrer Wohnungstür geläutet hatte.
»Die Haustür war offen. Darf ich reinkommen?«
Sie stockte. »Das ist vielleicht, äh, nicht so, äh, günstig.«
»Ist mir egal.« Ich drängte mich an ihr vorbei und betrat die Wohnung.
Auf dem Tisch standen zwei Champagnergläser, auf dem Sofa saß eine rote Brille in einem dunklen Anzug, die oberen Knöpfe des Hemdes geöffnet, und grinste. »Philip Marlowe persönlich! Unser Meisterdetektiv! Welch seltene Ehre!«
Amackers glattrasiertes Gesicht war noch feister als auf dem Foto, das auf dem Wohnzimmerregal stand. Er hatte einiges an Gewicht zugelegt. Ich schob seinen dunklen Kaschmirmantel, den er lässig über einen Sessel geworfen hatte, beiseite und setzte mich. Simona blieb unschlüssig stehen. Amacker grinste mich unverwandt an. Wir schwiegen
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