Karlebachs Vermaechtnis
aufnehmen zu können. Lea, die mich zu meiner Freude gleich wieder erkannte, brachte mir einen Orangensaft und setzte sich, da sie nur wenige Gäste im Garten bedienen musste, an meinen Tisch.
Ob es mir in Jerusalem gefalle, fragte sie. »Der Himmel auf Erden«, antwortete ich, räumte jedoch ein, dass ich die Stadt nach zwei Tagen Schnee und Regen in Richtung Rotes Meer verlassen hatte, um mich dort ein wenig zu sonnen.
»Man sieht’s«, lachte Lea und begrüßte zwei ankommende Paare, die sich zu Karlebachs Tisch begaben. Es waren die beiden Herren, die vor einer Woche an meinem Nachbartisch Jugenderinnerungen und Schallplatten ausgetauscht hatten, in Begleitung ihrer Ehefrauen. Karlebach begrüßte sie herzlich und gab den Damen in formvollendeter Höflichkeit einen angedeuteten Handkuss. Ich versuchte ihrer angeregten Unterhaltung zu folgen, die sie der amerikanischen Dame zuliebe in Englisch führten, doch ich verstand nur wenige Gesprächsfetzen.
»Zufalle gibt’s«, klärte mich Lea über das Geschehen am Nachbartisch auf, während sie mir einen Orangensaft servierte. Karlebach und der Amerikaner hätten in den fünfziger Jahren in New York gemeinsam in einer Firma gearbeitet und sich dann aus den Augen verloren. Am vergangenen Schabbat seien sie in der Großen Synagoge - ausgerechnet in der Großen Synagoge, die Karlebach höchstens dreimal im Jahr betrete - ins Gespräch gekommen und hätten sich wiedererkannt. »Jetzt treffen sie sich jeden Tag und erzählen und erzählen.«
»Weißt du, in welchem Hotel sie wohnen?«
»Nein«, antwortete Lea, »aber wenn du willst, frage ich sie.« Eine ganze Weile später, in der ich mich vergeblich bemühte, Karlebachs Aufmerksamkeit zu gewinnen, geriet der Tisch plötzlich in Unruhe. Lea wurde lautstark zum Zahlen herbeigewinkt, dann brach die Gruppe eilig auf und verließ den Garten. Ich wollte mich gerade über die verpasste Gelegenheit ärgern, als mir Lea mitteilte, dass das amerikanische Ehepaar, Mr. und Mrs. Joseph Heller, im American Colony nächtigte. »Aber du musst dich beeilen«, sagte sie, »Sonntag reisen sie ab.«
Noch am selben Abend begab ich mich in das Hotel, erkundigte mich nach den Hellers, die jedoch nach Auskunft eines hochnäsigen Portiers außer Haus weilten, wartete ungefähr drei Stunden im Foyer, bis ich das American Colony unverrichteter Dinge wieder verließ. Auf dem Weg in die Altstadt, den ich zu Fuß ging, weil kein Bus mehr fuhr, entschloss ich mich, noch einen Abstecher in die Ben Yehuda, die Flaniermeile Jerusalems, zu machen. Doch zu meiner Enttäuschung waren alle Discos und Kneipen geschlossen. Ich erkundigte mich bei zwei Soldaten, die müßig an einer Ecke herumlungerten und mit ihren Maschinengewehren Figuren in die Luft zeichneten, wo man sich noch amüsieren könne. Schabbat in Jerusalem sei totlangweilig, sagte der eine. Schuld daran seien die Frommen.
»Die Religiösen achten darauf, dass alle Gesetze streng eingehalten werden«, klagte der andere und stimmte ein Loblied auf Tel Aviv an. Dort könne man auch am Schabbat die Nacht durchtanzen und saufen und … Er machte eine unzweideutige Handbewegung und kicherte. »Die Frommen studieren den ganzen Tag und wir müssen für sie den Arsch hinhalten«, sagte wieder der Erste. »In Tel Aviv wird getanzt, in Haifa gearbeitet und in Jerusalem gelernt«, fügte der Zweite hinzu.
»Und sie machen ein Kind nach dem andern. Alle im Namen Gottes. In fünfzig Jahren gibt es hier nur noch Religiöse.«
»Weil wir für sie den Arsch hinhalten.«
»Und uns abknallen lassen.«
»Glaubt ihr an Gott?«, fragte ich die beiden. »Nein«, antwortete der Erste. »Ich war zwei Jahre im Südlibanon stationiert. Danach glaubst du an nichts mehr.« Der Zweite strich mit seinen Fingern über den Griff des Gewehrs. »Mein Großvater war Zionist. Er hat gegen die Briten und gegen die Araber gekämpft. Er hat das Land aufgebaut und ist dabei gestorben. Mein Vater war Offizier und ruhmreicher Held im Sechstagekrieg. Ich kenne ihn nur als Krüppel. Und ich? Ich kämpfe gegen kleine Araberblagen, die mit Steinen schmeißen, und muss mich von ihren Müttern ins Gesicht spucken lassen. Woran soll ich glauben? An den Gott Abrahams, Jakobs und Isaaks? An den Gott meiner Väter? Oder an Allah? Oder an euren Christenjesus?«
»Ich wäre dafür«, unterbrach ihn der Erste, »die Götter sollen ihren Streit untereinander austragen und uns hier in Frieden leben lassen.«
»Gute Idee«, pflichtete der
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