Karlebachs Vermaechtnis
anderen hetzen würden und Geld ins Land brächten.« Karlebach stimmte ihr zu, rührte in seinem Kaffee und schaute mich fragend an. »Was wollen Sie heute von mir wissen?«
»Ich hatte Sie zuletzt gefragt, ob Sie dem jungen Pietsch schon einmal begegnet sind.«
Karlebach bewegte seinen Kopf nachdenklich hin und her. »Darauf möchte ich Ihnen nicht antworten. Vielleicht später, aber noch nicht jetzt. Fragen Sie bitte nicht warum, denn ich habe meine Gründe.«
»Das muss ich akzeptieren«, sagte ich. »Woher kannten Sie Opa Bernhard?«
»Ich muss ein wenig ausholen, wenn Sie gestatten. Meine Mutter war eine geborene Rosenthal. Die wohnten - aber das wissen Sie ja sicher - in Merklinghausen. Die Rosenthals waren Vieh- und Pferdehändler. Das war damals, wie soll ich es Ihnen am besten erklären, eine Art Bankiergeschäft. Die Rosenthals kauften das Vieh, bezahlten es umgehend und verkauften es an die Bauern in der Umgebung weiter. Viele Bauern konnten nicht sofort bezahlen und standen bei den Rosenthals in der Kreide. Sie hatten Schulden bei ihnen.
Das Geschäft lief hervorragend, die Rosenthals wurden zu vermögenden Leuten. Noch vor dem Ersten Weltkrieg konnten sie sich das Haus kaufen, das sie bis dahin nur gemietet hatten. Sie können sich vorstellen, dass sie nicht sehr beliebt waren. Sie hatten viele Neider, denn sie zählten bald zu den wohlhabendsten Familien im Dorf. Der Jud fährt ein Auto, hörte man oft. Oder: Der Jud arbeitet nicht und lebt von unserem Geld. Manche warfen den Rosenthals vor, Wucherzinsen zu verlangen, was vielleicht auch manchmal zutraf, denn Vater und Sohn Rosenthal waren zwei ausgebuffte Schlitzohren. Aber im Großen und Ganzen …«, Karlebach strich über sein Kinn, »… im Großen und Ganzen ließ man sie in Frieden leben. Sie waren ja, was man assimilierte Juden nannte. Sie hielten zwar den Schabbat, besuchten auch die Synagoge in der Stadt, aber meist nur, damit zehn Männer zusammenkamen, um einen Gottesdienst feiern zu können. Die Speisegesetze beachteten sie nur, wenn andere Juden zu Besuch waren. Die Frauen kauften zum Beispiel beim Metzger um die Ecke. Nur Schweinefleisch - das gab es auch bei den Rosenthals nicht.
Die Stimmung änderte sich grundlegend erst im Winter 1933/34. Aber das ist eine andere Geschichte. Langweile ich Sie?«
»Nein, nein«, versicherte ich.
»Also gut, dann erzähle ich weiter. Ich stamme aus einer Kleinstadt etwa hundert Kilometer von Ihrem Dorf entfernt. Dort lebten auch nur drei jüdische Familien, denn die meisten Juden wohnten ja in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt. Ich bin Jahrgang 1924 und der älteste Sohn eines Beamten. Vier Geschwister hatte ich noch …« Karlebach machte eine Handbewegung, als ob er etwas wegwischen wollte. »Als kleiner Junge, und später dann in den Ferien, bin ich oft zu den Rosenthals gefahren. Sie hatten einige Kinder in meinem Alter. Wir machten eine Menge Unsinn und waren im ganzen Dorf gefürchtet.« Karlebach lachte. »Aber ich schweife ab. Ich wollte Ihnen erzählen, wie ich Bernhard kennen gelernt habe. Mein Großvater war mit Bernhards Vater befreundet. Sie hatten im Ersten Weltkrieg im selben Regiment gedient. Viele Juden waren sehr patriotisch und kaisertreu. Sie taten alles, um ihre Zugehörigkeit zur deutschen Nation und ihre Vaterlandsliebe unter Beweis zu stellen.« Karlebach verstummte und faltete gedankenverloren eine Papierserviette auseinander. »Wo war ich stehen geblieben?«
»Im Ersten Weltkrieg.«
»Ach ja, ja… Großvater und Bernhards Vater sind in derselben Schlacht verwundet worden. Sie lagen zusammen im Lazarett. Bernhards Vater hatte es schlimm getroffen. Ich habe ihn nicht gekannt, aber er soll bis zu seinem schrecklichen Tod sehr gelitten haben. Mein Großvater hingegen wurde rasch wiederhergestellt. Das Eiserne Kreuz, mit dem er ausgezeichnet wurde, hat er mit Stolz getragen. Ich sehe ihn noch vor mir … Es war am 1. April 1933. Ein Freitagmorgen. Die Nazis hatten zum Boykott gegen die jüdischen Geschäfte aufgerufen. Die SA zog mit Transparenten durch die Stadt und rief: Die Juden sind unser Unglück! Oder:
Deutsche! Kauft nicht mehr bei Juden! Ich hatte Schulferien und besuchte die Großeltern. Als die SA-Leute pöbelnd durch die Straßen zogen und sich vor dem Karlebach’sehen Juweliergeschäft postierten, legte Großvater seine Kriegsauszeichnungen an und trat ihnen entgegen. Er verwies auf sein Eisernes Kreuz und versicherte ihnen seine deutschnationale
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