Karlebachs Vermaechtnis
Runde begann sogleich mit rhythmischem Klatschen, doch Yassir stoppte ihn mit einer Handbewegung. »Bist du uns noch böse?«, fragte er mit treuen Augen. »Wenn ich diese gedeckte Tafel sehe«, sagte ich, »wie kann ich euch da noch böse sein?«
»Wir haben so wenig zu lachen«, grinste Mustapha, »da haben wir uns eben mit dir einen kleinen Spaß erlaubt.« Er zauberte unter seiner Schürze zwei Flaschen Pils hervor. »Extra für dich!«
»Was hältst du davon«, nuschelte Yassir, während er einen Hähnchenknochen abnagte, »am Sonntag mit uns Mittag zu essen? Doktor Naseer kommt auch mit seiner Familie. Und dann fahren wir zum Herodion. Das ist so eine Art Heiligtum der Juden, von dort hat man einen herrlichen Rundblick auf ganz Palästina.«
23
Die Aussicht vom Herodion war in der Tat atemberaubend. Die Häuser in den Dörfern am Fuß des Festungsberges sahen aus wie hingewürfelt, überall hatten die Bauern der Wüste ein Stück fruchtbares Land abgetrotzt. Am Horizont leuchteten die Berge Jordaniens in der Sonne, die Zinnen Jerusalems ragten majestätisch zum Himmel.
»Gefällt dir die grüne Wüste?«, fragte Fatma. Sie verscheuchte zwei ärmlich gekleidete Jungen, die uns um einen Schekel anbettelten, und lenkte mich zu einer windgeschützten Mauer. Wir ließen uns von der Sonne den Rücken wärmen und schauten über das weite Land.
»Ich möchte nirgendwo anders leben als in Bethlehem. Gibt es eine schönere Stadt auf der Erde?«
»Ja«, antwortete ich, »Jerusalem.«
Wir saßen nebeneinander und hingen unseren Gedanken nach. Unsere Schultern berührten sich leicht, Fatma baumelte mit ihren Beinen. Außer einem peinlichen Grummeln in meinem vollen Magen war kein Laut zu hören. Die Stille schmerzte. In meinen Ohren pfiff und klingelte es, jedes Klopfen meines Herzens wurde zu einem Paukenschlag. »Weißt du«, sagte Fatma plötzlich, »arabische Männer sind wie Kinder. Wenn eine Frau sich nicht so verhält, wie sie es erwarten, wenn sie gegen die Konventionen verstößt, dann verkraften sie das nicht. Dann sind sie hilflos. Was glaubst du, was sie über mich schon geredet haben?« Sie schaute mich mit ihren großen Augen an. »Wenn sie erfahren - und sie werden es erfahren! - dass ich mit dir alleine auf dem Herodion war, dann werden sie schon die Musiker für die Hochzeitsfeier bestellen.«
»Die Verlobungsfeier habe ich schon hinter mir«, sagte ich. Fatma schmunzelte. »Die unselige Prophezeiung von Umm Suitana und die Autopanne hat allen den Kopf verdreht. Aber so haben die Männer wieder etwas Abwechslung und sie können über uns reden und reden und reden. Dann machen sie wenigstens keine Dummheiten.«
»Glaubst du an Umm Suitanas Verheißungen?«, fragte ich. Fatma lachte. »Dir hat sie wohl auch den Kopf verdreht?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Mein Großvater, er ist vor ein paar Jahren gestorben, war ihr Bruder. Und er war ein kluger und weiser Mann. Weißt du, was er immer zu mir sagte?« Fatma sprang von der Mauer und hängte sich ihre Jacke über die Schultern. Sie ging rückwärts und sah mir tief in die Augen. »Er hat immer gesagt: Wenn du den Prophezeiungen von Politikern und alten Weibern glaubst, bist du wie ein Verdurstender vor einer Fata Morgana.« Fatma kutschierte mich in Yassirs Taxi, das sie ihm unter viel Zetern und gegen seinen Willen abgetrotzt hatte, direkt vom Herodion zum israelischen Checkpoint. »Ich muss dich leider hier aussteigen lassen«, sagte sie traurig. »Meine Einreiseerlaubnis nach Jerusalem ist abgelaufen.« Sie steuerte den Diesel in eine kleine Haltebucht und schaltete den Motor aus. »Sehen wir uns wieder?«, fragte ich.
»Das hängt alleine von dir ab«, antwortete sie. »Wenn du kommst… Ich darf die besetzten Gebiete nicht verlassen.«
24
Als ich freitags mit dem ersten Bus aus Tiberias am See Genezareth nach Jerusalem zurückkehrte, begab ich mich sogleich ins Kaffeehaus. Karlebach erwartete mich schon und winkte mir zu. »Wie war Ihre Woche?«, fragte er.
»fch war in Galiläa«, »sagte ich, »ich bin auf den Spuren Jesu gepilgert. Am See Genezareth, in Kapernaum, auf dem Berg der Seligpreisungen, bei den Jordanquellen, auf den Golanhöhen, in Nazareth.«
»Jesus war auf den Golanhöhen?«
»Unser Land hat diesem Jesus viel zu verdanken«, sinnierte Lea, die mir einen Vitaminsaft servierte, ohne dass ich ihn bestellt hatte. »Wir wären schon längst bankrott, wenn nicht die christlichen Pilger von einer Kirche zur
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