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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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arbeitslos und schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Mein Großvater fühlte sich der Familie gegenüber verpflichtet. Vielleicht weil er den Krieg ohne Folgen überlebt hatte und sein Freund nicht. Ich weiß es nicht.
    Onkel Salomon hat ihn oft kritisiert, er solle das Geld lieber der jüdischen Wohlfahrt geben als einer Christenfamilie. Es gebe genug Not leidende jüdische Familien, die dringend Unterstützung benötigten. Aber Großvater hatte einen eigenen Kopf. Er hat immer das getan, was er wollte, und sich niemals in seine Entscheidungen reinreden lassen.« Karlebachs Stimme wurde leiser. »Das sollte uns dann zum Verhängnis werden …«
    »Inwiefern?«
    »Später … Ich habe meinen Großvater als kleiner Junge häufig begleitet, wenn er Bernhard und seine Mutter besuchte«, erzählte er wieder mit fester Stimme. »Als Bernhard heiratete, das war kurz vor der Nazizeit, war Großvater Trauzeuge. Auch später hatten sie regelmäßig Kontakt miteinander. Bis es dann für alle Seiten zu gefährlich wurde.«
    »Und wann sind Sie nach Merklinghausen gezogen?«
    »Im Januar 1934. Mein Vater Mosche, der zweitgeborene Sohn von Herschel Karlebach, hatte gerade seine Arbeit verloren. Nach dem neuen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums durften nur noch Arier dem Nazistaat dienen. Eigentlich waren die Söhne von jüdischen Frontsoldaten von dem Gesetz ausgenommen, aber … Der Vorgesetzte meines Vaters war ein ganz fanatischer Nazi und Judenhasser. Er hat Vaters Entlassung betrieben. Ein reiner Willkürakt.
    Es waren schreckliche Tage. Vater war arbeitslos, meine jüngste Schwester Katharina war gerade geboren. Und dann kam ein Brief von der Stadtverwaltung. Vier Tage vor Weihnachten. Der Mietvertrag müsse uns leider gekündigt werden, hieß es darin. Bedauerlicherweise könne uns die Stadt keinen neuen Wohnraum zur Verfügung stellen. Die Stadt wäre uns zu Dank verpflichtet, wenn wir uns so schnell wie möglich außerhalb eine neue Wohnung suchten. Wir ahnten, wer hinter dem Bescheid steckte. Als wir Widerspruch einlegten, wurde der Beschluss noch verschärft. Innerhalb von vier Wochen mussten wir die Stadt verlassen. Doch wo sollten wir hin?« Karlebach spreizte seine Finger und bildete mit ihnen ein dreieckiges Dach. Dann führte er die Fingerkuppen langsam auseinander und ballte beide Hände zur Faust. »Wo sollten wir hin?« Karlebach betonte jede Silbe.
    Ich hob unwillkürlich meine Arme zu einer hilflosen Bewegung.
    »Den beiden anderen jüdischen Familien in der Stadt war ihre Mietwohnung ebenfalls gekündigt worden. Die eine ist nach Palästina ausgewandert, die andere zu Verwandten nach Berlin gezogen.«
    »Warum sind Sie nicht ausgewandert?«, unterbrach ich. »Das ging nicht. Großvater Karlebach hatte beschlossen: Unsere Familie bleibt in Deutschland. Die Karlebachs warten ab, bis der Spuk vorüber ist und alles wieder so wird wie früher. Und was Großvater Karlebach, der unbestrittene Patriarch, bestimmte, das war Gesetz. Die Familie gehorchte.«
    »Und Ihr Vater hat nicht widersprochen?«
    »Nein!« Karlebach war entsetzt. »Wo denken Sie hin? Das hätte er sich nie getraut. Und außerdem hat er Großvaters Ansicht geteilt. Er war Beamter.«
    »Aber Ihr Onkel …« Karlebach sprang plötzlich vom Stuhl. »Jankele!«, rief er, »mein Freund Jankele!«
    »Schlomo! Wie geht es dir?«
    Die beiden Männer umarmten sich. Karlebach reichte dem Anderen gerade bis zum Hals. Sie hielten sich an den Händen und setzten sich an einen freien Tisch. »Bitte entschuldigen Sie mich«, rief mir Karlebach zu. »Ein alter Freund. Wir haben uns lange nicht gesehen und müssen viel erzählen.«
    »Ja, bitte!«, bat sein Freund Jankele. Ich kramte rasch einen Block aus meiner Tasche und machte mir Notizen von dem Gespräch.
    »Wie hast du das nur geschafft?«, fragte mich Lea flüsternd.
    »Was?« Ich wollte mich nicht stören lassen.
    Sie hockte sich auf eine Stuhlkante. »Herr Karlebach spricht sonst nie mit Deutschen. Mit deutschen Juden ja, aber mit einem deutschen Goj?« Sie schüttelte den Kopf.
    »Das hast du mir bereits erzählt.«
    »Er muss dich mögen …«
    Ich lehnte mich stolz zurück.
    »Darf ich dir noch etwas bringen?«
    »Lea«, stammelte ich, »Galiläa war sehr teuer. Ich muss jetzt mit jedem Schekel rechnen.«
    »Oder du musst dir eine Arbeit suchen.«
    »Eine Arbeit? Ich habe doch nur ein Touristenvisum.«
    »Viele arbeiten ohne Erlaubnis.«
    »Aber was soll ich arbeiten?«
    Lea

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