Karlebachs Vermaechtnis
Kaffeehaus.«
»Das ist mehr, als Sie erwarten durften.«
»Aber ich wünschte, ich käme schneller an mein Ziel.«
»Karlebach hat Zeit.«
»Aber ich nicht. Mir rennt sie davon.«
»Geduld gehört nicht zu Ihren Stärken.«
»Wollen Sie mich therapieren?«
»Entschuldigen Sie … Aber wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann … Brauchen Sie etwas?«
»Ja!«, platzte ich heraus. »Yassir hat mit meinen letzten Schekel ein sündhaft teures Geburtstagsgeschenk für Fatma gekauft. Ich bin pleite.«
»Haben Sie sich schon nach einer Arbeit umgeschaut?«
»Zweimal die Woche jobbe ich nachts in einer Disco als Küchenhilfe. Illegal. Der Verdienst ist nicht die Rede wert.«
»Wie viel Geld benötigen Sie?«
»Das hängt davon ab, wie lange sich die Gespräche mit Karlebach noch hinziehen.«
»Nennen Sie mir eine Summe. Und seien Sie nicht zu bescheiden.« Eli zückte seine Brieftasche und holte einen Scheck heraus. »Wie viel soll ich eintragen?« Ich druckste herum. »Vielleicht fünfhundert Schekel. Ich gebe sie Ihnen dann sobald wie möglich zurück.«
»Fünfhundert Schekel? Das reicht ja nicht einmal für einen Abend in Tel Aviv!« Er trug eine Zahl ein, steckte seinen goldenen Kugelschreiber in die Innentasche des Jacketts und übergab mir den Scheck. Es war die zehnfache Summe.
»Warum hast du nicht mit ihr geredet?« Yassir blitzte mich vorwurfsvoll im Rückspiegel seines Taxis an. »Es war umgekehrt. Sie hat nicht mit mir geredet!« Mustapha drehte den Kopf nach hinten. »Du hättest sie ansprechen müssen! Sie hat den ganzen Abend auf dich gewartet.«
»Ihre Brüder haben mich feindselig angestarrt.«
»Keine Zeit! Ihre Brüder!« Yassir regte sich schon wieder auf. »Was hast du noch für Entschuldigungen?«
»Du hättest mit ihr nach draußen gehen können, einen Spaziergang machen«, meinte Mustapha. »Da wäre es ihm zu kalt gewesen«, grunzte Yassir. »Wir sollten es aufgeben«, brummte Mustapha. »Er wird es nie schaffen.«
26
»Ich habe dir eine Flasche Arrak auf dein Zimmer gestellt«, sagte Ahmed, ohne von seiner Illustrierten aufzublicken. »Und von deiner Zeitung ist wieder ein Fax gekommen.«
Ich brauchte die ganze Nacht, um mir den dringend angeforderten Artikel über Tel Aviv aus den Fingern zu saugen. Um fünf Uhr legte ich die Reportage in Ahmeds Faxgerät, genehmigte mir noch einen Arrak und fiel endlich in einen bleiernen Schlaf.
Obwohl ich am Freitagmorgen das Kaffeehaus bereits fünf Minuten nach seiner Öffnung betrat, saß Karlebach schon an seinem Tisch.
»Ich habe mich gestern Abend etwas vorbereitet«, sagte er mit einem Zettel in der Hand, »damit ich nicht wieder abschweife. Sie dürfen sich gerne Notizen machen, wenn Sie möchten.«
fch fingerte noch nach meinem Block und einem Kugelschreiber, da begann Karlebach schon zu erzählen. »Sie hatten vergangenen Freitag gefragt, warum mein Onkel Salomon nicht weiter auf eine Ausreise gedrängt hat. Nun, die Antwort ist ganz einfach: Er hatte seine Meinung geändert. Das Reichswirtschaftsministerium hatte im Dezember 1933 eine Anordnung erlassen, das Weihnachtsgeschäft in jüdischen Betrieben nicht zu stören. Natürlich aus Eigennutz, der Verkauf deutscher Waren sollte nicht behindert werden. Außerdem hatte sich die wirtschaftliche Lage schon leicht gebessert. Und das spürten auch die Karlebachs in ihrem Juwelierladen. Den Grünsteins, nebenbei bemerkt, liefen die Geschäfte ebenfalls sehr gut. Großvater und Onkel Salomon hatten als Goldschmiede einen hervorragenden Ruf. Die Leute kamen von Nah und Fern, aus dem In- und Ausland, um sich bei ihnen Ringe anfertigen zu lassen oder eine Perlenkette zu besorgen. Perlenketten, das war ihre Spezialität! Mit kleinen Diamanten besetzt. Sündhaft teure Einzelanfertigungen. Auch überzeugte Nazis erwarben ihren Schmuck bei den Karlebachs. Ich weiß nicht, vielleicht hatte das gute Weihnachtsgeschäft Onkel Salomon den Blick getrübt. Er sagte einmal: Wenn der wirtschaftliche Notstand endgültig überwunden ist, wird die Irrlehre der Nazis wieder verschwinden. Großvater freute sich natürlich, dass sein ältester Sohn die Ausreisegedanken aufgegeben hatte. Er war Ende November 33 in Berlin auf einer Kundgebung des CVs gewesen, des Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, und kehrte ganz euphorisch zurück. Das hat mir später einmal meine Großmutter erzählt. Charlotte, hat er gesagt, die Treue der deutschen Juden, ihr
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