Karlebachs Vermaechtnis
Rosenthals das Grundstück an die Karlebachs verkauft?«, meinte Lea.
»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber jetzt hör zu: Im April 1974 wurde in dem kleinen Krankenhaus in der Nähe von Merklinghausen ein Patient behandelt. Ihm musste wegen einer Alkoholvergiftung der Magen ausgepumpt werden. Es ging um Leben und Tod. Mein Kumpel Andi, ein angehender Mediziner, ist dort gerade Praktikant. Er hat in den alten Unterlagen gewühlt. Und rate mal, wer damals dort eingeliefert wurde?«
Lea betrachtete sich in den gespiegelten Gläsern ihrer Sonnenbrille. »Nun sag schon!«
»Schlomo Karlebach!«
»Karlebach?« Lea fasste sich an die Stirn. »Unmöglich! Er hat mir erzählt, dass er nach seiner Befreiung aus dem KZ Deutschland nie wieder betreten wollte … Und Karlebach ist kein Trinker. Er besäuft sich nicht. Zwei, drei Gläser Rotwein genießt er vielleicht, aber mehr nicht. Jetzt geht deine Phantasie mit dir durch.«
»Nein, geht sie nicht. Helmut hat mit einem pensionierten Polizisten gesprochen, den er in einem Seniorenheim in Österreich aufgespürt hat. Der Alte war in der kleinen Polizeistation in Merklinghausen stationiert, die mittlerweile längst geschlossen ist. Nach seiner Pensionierung ist er zu seiner Tochter nach Österreich gezogen. Er ist ein bisschen senil, wie Helmut berichtet, aber er konnte sich noch daran erinnern, dass vor langer Zeit, das genaue Datum hatte er vergessen, ein Jude auf die Station gekommen sei, um Anzeige zu erstatten. Die Ermittlungen wurden schon bald ergebnislos eingestellt.« Ich malte einen dicken Pfeil zwischen Karlebach und Pietsch. »Das verstehe ich nicht«, sagte Lea.
»Fällt dir auch noch etwas anderes ein als: Das verstehe ich nicht«, herrschte ich sie an. »Entschuldigen Sie, Herr Kommissar.«
»Also: Pietsch, so habe ich oft gehört, hat als Bürgermeister das Dorf wie ein Despot regiert. Genau wie sein Vater. Wer hatte also die Macht, Urkunden zu fälschen und Ermittlungen niederschlagen zu lassen? Pietsch!« Lea zeigte auf ihre Uhr. »Wir müssen in die Disco. Die Arbeit ruft!«
»Verstehst du«, sagte ich, während wir an der Stadtmauer entlang eilten, »ich muss die Geschichte noch vor der Wahl fertig bekommen. Pietsch, der so viel Dreck am Stecken hat, muss endlich zur Strecke gebracht werden! Er darf nicht Wirtschaftsminister werden!«
»Du willst also Gott spielen und für Recht und Gerechtigkeit sorgen?«
»Ich könnte ihn zumindest in seinem Handwerk unterstützen.«
Laut hupend und mit quietschenden Reifen stoppte ein Wagen neben uns. Das Innere des Daimlers war mit Kisten und Säcken gefüllt. Auf dem Dach war ein riesiges Bündel festgezurrt.
»Dich schickt der Himmel!«, brüllte jemand. »Du kannst mir beim Ausladen helfen!«
»Yassir …«, zögerte ich.
»Steig endlich ein! Wir dürfen Abu Shaban nicht warten lassen!«
Ich blickte hilflos zu Lea.
»Nun steig schon ein. Ich sage dem Chef, dass du später kommst.«
Yassir raste durchs abendliche Jerusalem. »Ich bin schon viel zu spät«, jammerte er. »Was ist in den Kisten?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Ich habe sie in Ramallah abgeholt und soll sie zu Abu Shaban bringen.«
Etwa einen Kilometer vor dem Checkpoint bog er von der Hauptstraße ab und fuhr auf einen Feldweg. Er löschte die Scheinwerfer.
»He, was machst du?«
»Sei still, ich muss mich konzentrieren.« Yassir ließ den Diesel langsam durch einen Olivenhain rollen. Der helle Mondschein wies den Weg. An einer Gabelung gab er wieder Gas. »Geschafft!« jubelte er und schaltete das Licht wieder ein.
In diesem Augenblick tauchte ein israelischer Militärjeep vor uns auf.
»Verflucht! Jetzt gibt’s Ärger!«
Im Nu hatten fünf oder sechs Soldaten unseren Wagen umstellt. Mit dem Maschinengewehr zwangen sie uns zum Aussteigen, dann prüften sie unsere Pässe. Ihr Anführer schnauzte Yassir an und deutete auf die Kisten und Säcke. Yassir zuckte kleinlaut mit den Achseln. Dann wurde ich angebrüllt.
Ich sei nur zufäflig in dem Taxi und wisse von gar nichts, erklärte ich in betont gebrochenem Englisch. Die Soldaten standen unschlüssig herum und berieten ihr weiteres Vorgehen. Dann befahl ihr Anführer, die Kisten und Säcke auszuladen. Yassir zierte sich, machte ein betroffenes Gesicht und zog langsam einen Sack aus dem Wagen. Die Mienen der Soldaten waren bis aufs Äußerste gespannt. Yassir schnitt den Sack auf und wich ein paar Schritte zurück. Der Anführer schritt energisch vor und schaute hinein. Dann
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