Karlo und der grüne Drache - Kriminalroman
alkoholgelähmten Bewusstseins zu. Zu viel andere Flüssigkeiten, allesamt wohlschmeckender als Mineralwasser, hatten seine Schluckreflexe in allerhöchstem Maße in Anspruch genommen.
Ein werwolfähnlicher Hunger vermittelte Karlo jedoch, dass mineralstoffreiche Kost jetzt auf keinen Fall hinderlich sein könne. Also bewegte er sich nach kurzem Überlegen schwankend in Richtung Küche, um den Kühlschrank nach eventuell vorhandenen Mineralsalzen abzusuchen.
Vor dem Kühlschrank ging Karlo auf die Knie und zog die Tür auf. Er schaute in den riesigen Innenraum. Viel war es nicht, was seine brennenden Augen an das Wahrnehmungszentrum seines Gehirns weiterleiten konnten. Das lag aber nicht an seinem desolaten Allgemeinzustand. Schuld daran war die karge Bestückung des Vorratsschrankes mit für sein Vorhaben geeigneten Lebensmitteln. Karlo glotzte einen Moment mit ebenso stumpfem wie auch enttäuschtem Blick in das beleuchtete Innenfach, als ihn eine plötzliche Erkenntnis in freudige Erregung versetzte: die Rhöner Leberwurst!
Nach einem kurzen Augenblick des Suchens entdeckte er die würzige Spezialität, die ihm sein Freund Paul Perlig aus der Rhön geschickt hatte.
Na, also, das war es doch: salzig – ja, Fett – auf jeden Fall. Und Mineralstoffe waren in so einer Leberwurst doch ganz bestimmt auch im Überfluss vorhanden, oder?
Also griff er entschlossen nach der Wurst, gab der Kühlschranktür einen Schubser und wandte sich dem Brotkasten zu. Eine Minute später hörte man das sägende Geräusch eines stumpfen Brotmessers, das sich mühsam in einen etwas ältlichen Laib Roggenmischbrot arbeitete.
Karlo hatte Glück. Das verwegene Unterfangen endete unfallfrei. Bald lagen als Produkt seiner Bemühungen zwei Scheiben Brot vor ihm auf dem Küchentisch. Vielleicht einen Hauch dicker und unregelmäßiger, als sie in nüchternem Zustand entstanden wären, aber für den beabsichtigten Zweck durchaus zu verwenden.
Im zweiten Akt seiner Bestrebungen verteilte Karlo eine dicke Schicht des fetten und – so hoffte er – auch mineralstoffhaltigen Brotaufstrichs auf beiden Scheiben. Karlo legte die Leberwurstbrote auf einen Teller, nahm Kurs auf das Schlafzimmer und segelte unsicher seiner nächtlichen Ruhestatt entgegen. Er stellte den Teller auf den Hocker neben dem Kopfende seines Bettes und ließ sich schlaff und mit einem tiefen Seufzer auf die schöne weiche Matratze sinken.
Nachdem er sein Kopfkissen zweimal unter dem Nacken gefaltet hatte, um etwas höher zu liegen, griff er nach links, schnappte sich das erste der beiden Brote und biss herzhaft zu.
–
Das erste Licht des Tages nahm Karlo nur über sein rechtes Auge wahr. Es war aber nicht das Licht, das Karlo als Erstes ins Bewusstsein drang. Der primäre Sinneseindruck nach dem Aufwachen, noch bevor er das rechte Auge richtig öffnen konnte, war die seltsam glitschige Konsistenz seiner Kopfunterlage. Und natürlich dass ihm, abgesehen von rasenden Kopfschmerzen, unglaublich schlecht war. Er versuchte, tief durchzuatmen. Das gelang nur unzulänglich, da sein linkes Nasenloch verstopft war.
Nun versuchte Karlo behutsam, die Augen zu öffnen. Auch hier war ihm nur ein Teilerfolg beschieden. Das linke Auge zeigte sich ebenso verklebt, wie das Nasenloch verstopft.
Zu guter Letzt bemerkte er einen penetranten Geruch nach Fett.
Nach geräuchertem Fett.
Entsetzt richtete er sich auf und langte sich an die linke Gesichtshälfte. Er bemerkte die schleimige Substanz auf seiner linken Wange. Es blieb ihm gerade noch Zeit, sich über den Rand seines Bettes zu beugen, bevor er sich auf das daneben liegende Schaffell übergab. Langsam wischte er sich mit dem Zeigefinger das linke Auge frei. Erst starrte er angewidert auf die fettige graue Masse an seinem Finger, danach auf die Lache halbverdauter Mineralstoffe neben dem Bett.
Für den der Situation eigentlich angemessenen Schwur „Nie wieder Alkohol“ war Karlo zu lebenserfahren.
Doch immerhin schwor er sich, nie mehr Leberwurstbrot im Bett zu essen …
–
Etwas später stand Karlo schwankend vor der Dusche. Er ächzte leicht, massierte sich seine Schläfen, versuchte, tief und gleichmäßig durchzuatmen und sich zu sammeln. Wie war das bloß wieder passiert? Seine Erinnerung an den Vorabend war wie ausgelöscht. Das Letzte, das ihm einfiel, war das Glas sizilianischer Rotwein, das ihm Toni vor die Nase gestellt hatte. Er hätte das Getränk ablehnen sollen. Doch nun war es zu spät. Er drehte den
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